Thailand zeigt plötzlich Eile

Die Regierung will die IWF-Schulden vorzeitig zurückzahlen, obwohl das Geld noch gebraucht würde

BANGKOK taz ■ Thailand will endlich raus aus der Schuldenfalle. Mehr als 17 Milliarden US-Dollar hat der Tigerstaat über den Internationalen Währungsfonds (IWF) erhalten, seit er im Juli 1997 plötzlich in die Krise stürzte und die Nachbarn Malaysia, Indonesien, die Philippinen und Südkorea folgten. Davon sind ihm noch 1,2 Milliarden Dollar an Schulden verblieben, und die will die Regierung nun ganz schnell zurückzahlen – und zwar bis Januar.

Das sei ein Jahr früher als geplant, erklärt Premierminister Thaksin Shinawatra und begründet die Entscheidung mit den optimistischen Prognosen: Die thailändische Zentralbank sagt der Wirtschaft ein Wachstum zwischen 3 und 4 Prozent für dieses Jahr voraus, 2001 betrug es nur 1,8 Prozent.

Kein Kopfzerbrechen machen den Wirtschaftsexperten dabei offenbar die schlechten Exportdaten aus der ersten Hälfte dieses Jahres. Und auch die Arbeitslosenzahlen spielen offenbar keine große Rolle. Denn ob die Bevölkerung von dem prognostizierten Aufschwung profitiert, ist fraglich. Mit Beginn der Asienkrise hatten vor allem die Arbeiter aus der verarbeitenden Industrie ihre Jobs verloren. Bis heute sind nach offiziellen Angaben allein in diesem Bereich weiterhin etwa eine Million Menschen erwerbslos, die Mehrheit von ihnen Frauen. Das bestätigte ein Vertreter der thailändischen Organisation Friends of Women der taz. Inoffiziell dürften es weit mehr sein. Schätzungen von 1999, zwei Jahre nach dem ökonomischen Crash, beliefen sich auf zwischen drei und vier Millionen. Die genauen Zahlen sind schwer zu eruieren. Fast alle Experten berufen sich auf Daten des National Statistics Office in Thailand, kommen dabei aber zu ganz unterschiedlichen Interpretationen: Laut der Asian Development Bank in Manila ist die Erwerbslosenquote zwischen 2000 und 2001 von 3,6 auf 3,9 Prozent gestiegen. Laut der Bundesagentur für Außenwirtschaft hingegen ist sie im letzten Jahr auf 3,3 Prozent zurückgegangen.

Klar ist aber, dass sich die Kluft nach der Asienkrise vergrößert hat. Weil es in Thailand keine Arbeitslosenunterstützung und kaum ein soziales Netz gibt, müssen ungelernte Arbeiter schlecht bezahlte Gelegenheitsjobs annehmen. Frauen sind gezwungen, illegal in Fabriken zu arbeiten. Und viele haben überhaupt keinen Job mehr gefunden. Kinder mussten die Schule verlassen, weil die Eltern sie nicht mehr unterstützen konnten. Und nicht wenige Menschen kehrten aus der Hauptstadt in ihre Heimatdörfer zurück.

Angesichts dessen überrascht die vorzeitige Rückzahlung des IWF-Kredits. Offenbar ist sie politisch und psychologisch motiviert: Die Regierung wirbt um das Vertrauen ausländischer Investoren und will die neu gewonnene Kreditwürdigkeit festigen. Dazu muss sie mit dem Image des armen Schuldners aufräumen – der IWF hatte sein milliardenschweres Hilfspaket für die gebeutelten Länder Südostasiens an harte Bedingungen geknüpft. Und die lauteten: Sparen und abermals sparen. Vielen Thailändern passte es aber überhaupt nicht, dass kurzfristig Macher und Manager aus dem Westen eingeflogen kamen, um über die Zukunft eines ihnen fremden Landes zu entscheiden. Die Kritik war berechtigt: An den rigiden IWF-Auflagen drohte sich Thailand kaputtzusparen. Folge war, dass die Politik der letzten Regierung keinen Rückhalt mehr bei der Bevölkerung fand. Dieser Unmut mündete zeitweise in protektionistische Tendenzen und den Wahlsieg Thaksins und seiner Partei Thai Rak Thai (Thais lieben Thais) Anfang 2001.

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