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Der Gutfühlhit des Sommers

Es soll ja Menschen geben, die können nicht eine Zeile zu Papier bringen, ohne eine ordentliche Tüte geraucht zu haben. Dann gibt es welche, die bekifft zwar Einfälle noch und nöcher haben, diese aber meist wieder vergessen, bevor sie sie aufschreiben können. Der Erfahrungsbericht eines sehr Berufenen

von ULI HANNEMANN

Schreiben und Kiffen. Kiffen und Schreiben. Ein heikles Thema. Einmal hatte ich mir zum Beispiel ein Loch in die Matratze gebrannt, weil ich mit rechts einen Geburtstagsbrief an meine Großmutter verfasste, während ich versuchte, mit links den Joint zu halten – das konnte natürlich nicht gut und nur regelrecht ins Auge gehen.

Viel deprimierender fand ich allerdings die regelmäßigen Desaster inhaltlicher Natur. Die Szenerie war immer die gleiche: gegen Morgen von der Arbeit nach Hause kommen, aufs Bett legen, Fernseher an, vielleicht ein Bierchen dazu. Dann ein homöopathisches Breitbandpräparat in die Pfeife bröseln und anzünden. Rauchen, genießen, breit werden. Das Fernsehprogramm ist lustig: Verkaufssendung, höhö, Fickwerbung, höhöhö. „Frauen über fünfzig erwarten deinen Anruf.“

Was, wenn ich das jetzt ändern würde? In „Frauen unter fünfzig erwarten deinen Anruf … nicht.“ „Erwarten deinen Anruf nicht“ – das ist ja dermaßen witzig! Das muss ich unbedingt aufschreiben! Ich bin genial – Kiffen macht total genial! Fieberhaft suche ich nach Stift und Zettel – ich muss mich beeilen, weil ich den Geistesblitz erfahrungsgemäß sofort vergesse, wenn ich ihn nicht auf der Stelle aufgeschrieben habe.

Auf die Schnelle finde ich zum Notieren jetzt nur einen Geldschein, egal! Die Kunst geht vor. Scheiße, verdammt – wo ist denn hier ein Kugelschreiber? Zur Not tut’s auch der Edding … also, was wollte ich gerade aufschreiben? Irgendwas irrsinnig Witziges. Einen Jahrhunderteinfall – Kacke, was war das bloß … ja, genau … Handball, höhö, THC Kiel gegen TUSEM Essen. THC Kiel, höhöhö. Apropos Essen: Bisschen was schnackseln könnt ich ja jetzt schon. Wo war denn hier die Küche? Mal suchen. Einzimmerwohnungen sind immer so unübersichtlich – vor allem, wenn man erst vier Jahre drin wohnt. In der Küche öffne ich den Kühlschrank, habe auf der Stelle einen grandiosen Einfall und notiere ihn, für immer unauffindbar, auf der Milchpackung. Anschließend trage ich den Küchenstuhl ins Zimmer. Bin ich dumm, höhö, jetzt habe ich statt was zu essen den Küchenstuhl – höhöhö. Das ist ja witzig. Ich könnte was schreiben über einen Typen, der was essen will und stattdessen den Küchenstuhl herumträgt. Ziemlich witzig! Und voll aus dem Leben gegriffen. Müsste ich eigentlich ein Drehbuch draus machen. Ich notiere mir den Einfall stichpunktartig auf der Rückseite meiner Geburtsurkunde: „Küche, Stuhl, Essen – später Verfolgungsjagd, könnte man auch Roadmovie“ – hier reißt die Message ab, weil ich zurück in die Küche muss, was essen holen. Mit einer Packung Toasts, zwei Dosen Thunfisch, drei Bananen, vier Tafeln Schokolade und einer Dose Bier haue ich mich zurück vor den Fernseher.

Ich könnte ja auch schreiben „haue ich mich zurück vor dem Fernseher“, höhö. Da stell ich mir dann so’n Typen vor, der vor dem Fernseher sitzt und sich dauernd haut, höhöhö, vielleicht so richtig mit so nem Beil immer auf den Kopf, bis er stirbt, höhöhöhö … So ging das oft, zu oft.

Am nächsten Mittag erwachte ich auf den Überresten einer Kompaniemahlzeit schwangerer Bulimistinnen. Darüber hinaus war dies stets aufs Neue der Moment der Entdeckung, dass sich in der Nacht zuvor in meinem Hirn miteinander konkurrierende Formulierungen mit grauenhaft verzerrten Fratzen ineinander verbissen haben mussten, wie Ratten, die man in einem überfüllten Käfig verhungern lässt. Das kaum mehr zu entziffernde und wirr auf bunte Zettelchen verteilte Produkt dieses Offenbarungseides meiner vermeintlichen Genialität, in etwa der Art des vorhergehenden Satzes, diesen Schrott, durfte ich dann mit hochrotem Kopf in den Papierkorb entsorgen.

Kiffen macht vergesslich: Ich kiffte, schrieb Geniales, entdeckte Banales, schmiss Geschmier weg – über lange Zeit wieder und wieder, bis ich endlich, klug geworden, mir erst das Schreiben im bekifften Zustand und schließlich das Kiffen überhaupt verbot. Weitgehend, höhö.

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