ulrike herrmann über Non-Profit: Plakativer Wahlkampf
Doris lächelt sanft für ihren Mann, wirbt für die SPD, isst Sahnetorte und bleibt trotzdem schlank
Fünf Frauen und ein Mann verlassen ihre Lieblingskneipe. Sie wollen ins Bett, aber der Heimweg ist mit Wahlplakaten verbaut. Da bleibt kein Stammtisch unbeteiligt; allerdings bevorzugen wir Liebespaare. Doch bisher zeigte nur die Union, wie Angela Merkel ihren Edmund Stoiber anstrahlen kann. In dieser Nacht entdecken wir, dass auch die SPD endlich mit dem Kanzler und seiner Gattin wirbt.
„Sie sieht traurig aus“, findet Kirsten. Das war zu erwarten, denn Kirsten ist seit fünf Wochen verliebt und macht ihr Glück zu einem Maßstab, an dem fast jeder scheitern muss. In der Kneipe hat sie uns drei Stammtisch-Singles auch ständig mitleidig angelächelt. Wir waren kurz davor zu betonen, was wir sowieso viel zu oft wiederholen müssen: Auch Singles können glücklich sein! „Sie sieht eher erschöpft aus“, korrigiert Monika.
Sie wurde kürzlich von ihrem Mann verlassen und hält seither alle Männer für Schweine. „Ist es wahr, dass Schröder schon wieder eine neue Geliebte hat?“, fragt sie mich. Und lässt mir keine Chance: „Das musst du doch wissen, schließlich bist du Parlamentskorrespondentin!“ Diesen Satz habe ich schon oft gehört. Mein Stammtisch glaubt fest daran, dass ich hinter die Kulissen der Macht blicken könnte. Tatsächlich sitze ich auch nur im Zuschauerraum. Vielleicht ein paar Reihen weiter vorne. Jedenfalls habe ich über das Liebesleben des Kanzlers nichts zu sagen: „Ich weiß nur, dass du schon die Dritte bist, die mich nach einem Seitensprung fragt.“ Irgendwie, irgendwo ist das Gerücht aufgekommen, dass Schröder fremdgeht. Beweise gibt es keine, eine Quelle auch nicht. Aber das kann die Fantasie nicht bremsen; nach so vielen Ehen ist eine weitere immer denkbar.
„Wenn er eine Geliebte haben sollte, dann ist sie bestimmt genauso mager wie Hillu und Doris.“ Birgit klingt wehmütig. Seitdem wir sie kennen, kämpft sie gegen ihr minimales Bauchfett an. Uns fiele es gar nicht auf, wenn sie nicht ständig klagen würde, dass sie schon wieder zugenommen hat. Wir Frauen sagen dann, was zu sagen ist: „Du siehst doch toll aus!“ Ihre Locken hätten wir wirklich gern. Nur unser einziger Mann, Frank, wird gelegentlich rabiat: „Vielleicht solltest du mal deine Waage überprüfen lassen!“
Solche Einwürfe übergeht Birgit, die uns lieber über das US-Fernsehen aufklärt: „Ist euch schon aufgefallen, dass in amerikanischen Serien die dünnsten Frauen immer am meisten essen?“ Nein, das ist uns bisher entgangen, aber sie hat Recht: Die vier mageren Singles aus Sex and the City kauen ständig Pizza oder Chips. Birgit hasst diese Inszenierung der Mühelosigkeit, und wütend steht sie jetzt vor dem Plakat. Sie nervt, dass die zarte Kanzlergattin in jedem Interview behauptet, dass sie sich von Nürnberger Bratwürstchen oder Sahnetorte ernährt. „So ein Quatsch, das sind ja 1.000 Kalorien! Die isst bestimmt nur Salat!“
Birgit redet am liebsten in Ausrufezeichen, was Frank gar nicht leiden kann. Daher würde er sowieso widersprechen, doch diesmal ist er überzeugt: „Ich finde Doris schön.“ Allerdings ist Frank schnell für Frauen zu begeistern – sie dürfen nur nicht an seinem Stammtisch sitzen. Über dieses kleine Machtspiel ärgern wir uns immer, sobald er neue Getränke an der Bar bestellt und uns nicht hören kann.
„Du magst also Sekretärinnentypen“, gibt Lilly bissig zurück. Lilly ist unsere einzige Frau, die ebenfalls ein Gespür für Macht besitzt. Wir finden zwar, dass sie ihre Strategieanalysen meist übertreibt, aber diesmal fällt uns kein Einwand ein: Doris Schröder-Köpf sieht auf dem Plakat tatsächlich aus wie eine fleißige Assistentin, die ihrem Chef ein Papier anreicht. Man kann sich richtig vorstellen, wie sie in ihrem kleinen Büro eine kleine Expertise ausgearbeitet hat, die er nun loben soll.
Unser Schweigen motiviert Lilly erst recht, ihre Standardanalyse abzugeben. „Ist doch typisch, dass sie kleiner hinter ihm steht.“ Das kann Frank, unser einziger Männerversteher, nicht gelten lassen: „Sie steht ja auch nicht zur Wahl!“ Fünf Frauen fallen über ihn her: „Und warum ist sie dann auf dem Plakat?“
Diese Frage wird bestimmt demnächst beantwortet. Von Schröder persönlich. Beim TV-Duell am Sonntag wird er sagen: „Meine Frau hat ihre eigenständige Rolle im Wahlkampf.“ Auch wenn dies glatt gelogen ist, muss er das einfach behaupten. Schließlich haben fünf Frauen darauf gewettet, und sie haben keine Lust, eine Flasche Champagner an Frank zu verlieren.
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