: Kleine Implosionen
Außenseiter, die sich letztlich selbst zerstören: Neue Schauspielhaus-Spielzeit wartet mit Visionslosem auf
Ist Theater selbstreferenziell, sind es die Regisseure? Fast möchte es bisweilen so scheinen, bezieht doch Chefdramaturg Michael Eberth die Tatsache, dass die Protagonisten der kommenden Spielzeit Außenseiter sind, auf die Situation des Theaters, das zwischen Abkehr und Widerstand changiere. Eine Beobachtung, die auch auf das Schauspielhaus selbst zutrifft, hatten doch zum Ende der vergangenen Spielzeit in einem mittleren Eklat Dramaturg Andreas Beck, Regisseurin Ingrid Lausund und Pressesprecherin Bettina Birk das Haus verlassen. Dass dies auf Arbeitsbedingungen und Führungsstil zurückzuführen sei, wollten die Beteiligten so direkt zwar nicht bestätigen, entsprechende Vermutungen kursieren aber durchaus.
Maiken Hagemeister, bis 2000 sieben Jahre lang Leiterin der Kampnagel-Pressestelle, ist von dieser Spielzeit an für die Schauspielhaus-Pressearbeit verantwortlich; Assistentin ist Maret Raecke, die zuvor in der inzwischen aufgelösten Redaktion Roger Willemsens tätig war. Eine kleine Implosion also, die Tom Stromberg allerdings als „normal“ bezeichnete.
Ene implodierende Welt hat auch Regisseur Jan Bosse in Molières Menschenfeind ausgemacht, den er, so verkündete er es bei der gestrigen Spielplan-Präsentation, in Botho Strauß‘ reimfreier Übersetzung inszenieren wird. Totaler Visionslosigkeit ist auch Ibsens Hedda Gabler anheim gefallen: „Wir hatten anfangs Schwierigkeiten mit einer so zerstörerischen Hauptfigur“, sagt Regisseurin Sandra Strunz.
„Auf welcher Seite des Bewusstseins bewegen wir uns eigentlich?“ fragt Sebastian Hartmann in seiner Inszenierung von William Goldings Pincher Martin – einem Stück, das in einer plötzlichen Wendung die Zeitleiste negiert: Was sich die gesamte Handlung hindurch als Echtzeit gebärdet hatte, entpuppt sich als auf wenige Sekunden verdichteter Lebensfilm. „Angesichts dessen könnte man sich ständig fragen, ob wir uns nicht in einer Morphin-Ausschüttung befinden und inwieweit wir verantwortlich sind für das, was um uns herum passiert“, sagt der Regisseur.
Vielleicht ist aber auch alles ein Märchen: Nicht als Sozialdrama, sondern als „russisches Märchen“ begreift der 25-jährige Florian Fiedler Plastilin, ein Stück des jungen russischen Autors Wassili Sigarew, dessen Figuren von Exzess zu Exzess taumeln. Mit Märchen befasst sich auch Laurent Chétouane, der Elfriede Jelineks Pinzessinnendramen – Der Tod und das Mädchen I-III inszeniert – eine Trilogie, die sich der Wechselbeziehung zwischen Schönheit, Macht und Tod widmet. Und in dem die Protagonisten genauso auf der Durchreise sind wie in Anne-Kathrin Schulz‘ Silly Songs, das aus dem Schreibtheater hervorging und von Regina Wenig inszeniert wird. PS
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