: Auf der Ratinger Straße
Ein neues Buch zieht Linien von Joseph Beuys zu Düsseldorfs früher New-Wave-Szene
Der „Ratinger Hof“ lag drei Gehminuten von der Düsseldorfer Kunstakademie und war schon ein Treffpunkt der Studenten von Joseph Beuys, als 1977 Carmen Knoebel den Laden übernahm. Fortan bestand die Ausstattung aus weißen Wänden, farbigen Neonröhren, ein paar Spiegeln und Stehtischen. Bald spielten dort einige der Bands auf, die heute als Wegbereiter der Neuen Deutschen Welle gelten.
Dass Joseph Beuys und seine Schüler einen gewissen Einfluss auf das Entstehen einer deutschen Punk- und New-Wave-Szene hatten, dafür gibt es einige Indizien. Manche Musiker haben ausdrücklich auf die wichtige Rolle hingewiesen, die sein erweiterter Kunstbegriff zu dieser Zeit in der Düsseldorfer Szene spielte: „Beuys hatte da ein Feld bereitet, auf dem man alles machen konnte. Auf der Ratinger Straße ging alles“, erinnert sich etwa Trini Trimpop von den Toten Hosen in „Verschwende Deine Jugend“, Jürgen Teipels fesselnder Oral History der NDW. Und Moritz Reichelt von der Synthesizer-Band Der Plan fügt hinzu: „Beuys war ja von Johannes Rau von der Akademie verwiesen worden, weil er gesagt hatte: ,Ich nehme jeden auf, der bei mir studieren will.‘ Seine Idee war: ,Jeder ist ein Künstler.‘ Sehr punkig.“
In seiner kunsthistorischen Untersuchung „Kunst – Musik“ versucht Thomas Groetz nun, diesem Zusammenhang tiefer auf den Grund zu gehen. Dabei stellt er die Arbeit des Gelsenkirchener Künstlers Jürgen Kramer in den Mittelpunkt, der bei Beuys studiert hatte und zwischen 1978 und 1982 die Zeitschrift Die 80er Jahre herausgab. Anfangs ein fotokopiertes Fanzine, später eine Art subkultureller Jahresalmanach, bestand das Heft in bester Punk-Tradition größtenteils aus Zitat-Collagen und Fotomontagen, die auf eher assoziative Weise zusammengestückelt worden waren, und Zeichen, die in den kommenden Jahren zum Symbolvorrat von New Wave werden sollten.
Ob die Zeitschrift wirklich so einflussreich war, wie Groetz es darstellt, muss dahingestellt bleiben. Irritierend an seiner Studie ist, dass er die einzelnen Ausgabe von Die 80er Jahre so interpretiert, als seien sie Kunstwerke. Die Parallelen, die er zwischen solchen Artefakten und Beuys herzustellen versucht, wirken über weite Strecken gewollt. Zwar führt er noch den Beuys-Schüler Walter Dahn und die Bands Salinos und Fred Banana Combo auf, die Kontakte zu Beuys’ Free International University unterhielten. Aber schon bei Der Plan, die Groetz erwähnt, kann von einem Beuys-Einfluss keine Rede mehr sein: Für diese Band war der tschechische Maler Milan Kunc viel wichtiger, und der war von Beuys wegen seiner relativ konventionellen Ölgemälde nicht in seine Klasse aufgenommen worden.
Interessanter wäre das Buch vielleicht geworden, wenn Groetz sich nicht auf Joseph Beuys beschränkt hätte (der im Übrigen nie bei einer Punk-Veranstaltung war und dessen einziger Ausflug in die Popmusik die verunglückte Schrammelnummer „Sonne statt Reagan“ gewesen ist), sondern auch die Rolle beleuchtet hätte, die etwa die multimediale Performance-Gruppe Minus Delta T in der deutschen New-Wave-Szene gespielt hat. TILMAN BAUMGÄRTEL
Thomas Groetz: „Kunst – Musik: Deutscher Punk und New Wave in der Nachbarschaft von Joseph Beuys“. Berlin 2002, Martin Schmitz Verlag, 14,50 €
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