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Clint reitet in der Zeche

Den Mythos Cowboy ins Ruhrgebiet verlegt: Eine Ausstellung von Christoph Dettmeier und Clemens Funk

Während sich die feigen Bleichgesichter von sicherem Terrain aus auf den Datenautobahnen in die weite Welt wagen, treten andere abenteuerlustig mit Sporen an den Stiefeln in die freie Wildbahn hinaus. Auf der Suche nach Unabhängigkeit in einsamer Landschaft und nach Situationen, in denen sie ihre Männlichkeit wieder und wieder beweisen können, ziehen sich letztere einen dunklen Umhang über die Schultern, stülpen den Hut auf den Kopf und – nennen sich fortan Cowboy.

Das Haar schulterlang und fettig, könnte der Künstler Christoph Dettmeier in jedem Italo-Western mitspielen – wenn bloß noch welche produziert würden. Mangels sonstiger Gelegenheit machte er vor zwei Jahren in Marseille seinen eigenen Western-Film. Seit Jahren beschäftigt sich Dettmeier, der in Berlin und Hamburg Kunst studierte und nun im Ruhrgebiet lebt, mit dem Mythos der harten Kerle, die in staubiger Wüstenei ihre Ehre verteidigen müssen.

In der gleichnamigen Fotoserie, derzeit zu sehen im Gruner+Jahr-Pressehaus, inszeniert Dettmeier sich selbst als Westerner, der durch das öd gewordene Ruhrgebiet zieht. Im Morgennebel schleicht er durchs Gras, ein Holzgewehr im Anschlag, mit der anderen Hand seine scheinbar im Hinterhalt auf der Lauer liegenden Kumpanen in Schach haltend.

Die Posen der Cowboys studierte Dettmeier anhand zahlreicher Westernstreifen und entwickelte daraus ein choreographisches Alphabet, eine Typologie der Western-Posen, denn für ihn ist der Western ein Tanz. Breitbeinig steht er mit gesenkter Knarre auf den Bahnschienen, auf seinen Gegner wartend, der mit dem stampfenden Dampfross direkt in die Mündung seines Gewehres reisen wird.

Jedes Foto steht isoliert und funktioniert doch als Ausschnitt einer Szenenfolge, die sich sofort im Kopf als Film weiterspult. Fotografiert hat Clemens Funk den Westernhelden auf Schwarz-Weiß-Polaroids, bei denen die mitentwickelten Negative Kontraste in warmen Grautönen produzieren. Auf den ersten Blick öffnet sich in der Weite und Leere der Landschaft die typische Western-Mystik. Dann erkennt man Zeichen urbanen und industriellen Lebens: ein Straßenschild, eine Brücke, den Kirchturm des Dorfes.

Die Aufnahmen entstanden in brachliegenden Zechen und auf Pferdewiesen zwischen noch qualmenden Industrieschloten in Duisburg und Oberhausen. Die Inszenierungen geben sich als solche zu erkennen und dienen doch als Projektionsflächen der Phantasie. In Wirklichkeit aber sind die Cowboys unter uns, der wilde Westen ist überall.

Lisa Monk

bis 8. Oktober, Galerie 11 im Gruner + Jahr Pressehaus, Am Baumwall 11

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