: Lärm machen immer die anderen
„Macht Lärm Motorradfahren erst schön?“, fragte das Bundesumweltministerium. Die Biker sagen Ja, bieten aber immerhin das Geschäft „Mehr Power für weniger Krach“ an. Die geplanten Grenzwerte halten sie dagegen für kontraproduktiv
aus Berlin MATTHIAS SPITTMANN
Wer ist schuld, dass sich so viele Menschen über laute Motorräder beschweren? Auf dem Symposium „Macht Lärm Motorradfahren erst schön?“, das das Bundesumweltministerium (BMU) gestern in Berlin veranstaltete, wurde klar: Es sind die anderen.
„Lärm beeinträchtigt nicht nur die Lebensqualität, sondern macht auch krank“, begründet Gila Altmann, parlamentarische Staatssekretärin im BMU und selbst Motorradfahrerin, das Engagement ihrer Behörde. Vier Fünftel der Bevölkerung fühlten sich heute durch Lärm gestört, davon 60 Prozent durch Straßenlärm. Bei Pkws und Lkws habe sich in den letzten Jahren viel getan. „Auch die Motorradfahrer müssen ihren Beitrag leisten.“
Doch wie der auszusehen hat, darüber scheiden sich die Geister. Altmann sieht zwei Problemfelder: Technik und Fahrverhalten. „Wenn man die Dinger hochzieht, kann man das leiseste Motorrad laut machen.“ Und die Hersteller hätten schlicht keine Lust, ihren Produkten den übermäßigen „Sound“ abzugewöhnen: „Die Motorradindustrie behauptet, der Kunde will den Lärm.“ Stimmt: „Man muss bedenken, dass man nicht nur über ein Verkehrsmittel spricht, sondern über ein Spaß- und Sportgerät“, so Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland (VCD).
Bisher gilt für die Zweiräder ein Grenzwert von 80 Dezibel (dB), derselbe wie für schwere Laster. Altmann will ihn erst mal auf 77, dann auf die heute für Pkws geltenden 74 dB absenken. Nicht möglich, schrieb ihr BMW. Doch bereits heute sind dutzende Serienmodelle mit 77 dB oder weniger auf dem Markt, davon zwei BMWs. Eine Suzuki erreicht 74 dB. Und schon 1984 konnten Porsche-Techniker mit geringen Veränderungen den Lärmpegel von Serienmotorrädern um über die Hälfte reduzieren – der Schalldruckpegel sank um satte 5 bis 10 dB.
Der Industrieverband Motorrad, der für einen Marktanteil von 98 Prozent spricht, sieht das Problem ganz woanders: bei illegalen Umbauten. „Zubehör, das die Motorräder lauter macht, muss nicht nur verboten sein, das Verbot muss auch durchgesetzt werden“, fordert auch VCD-Experte Lottsiepen. Und dann gelte immer noch: „Ein Motorrad, das den Grenzwert einhält, ist so laut wie vier Autos.“
Rolf Frieling, Vorsitzender der Biker Union und der Motorradinitiative Deutschland, glaubt, dass ein Absenken der Grenzwerte den falschen Effekt hat. „Die Zahl derer, die sich beim Zubehörhändler bedienen, würde noch größer“, warnt er. Für den Lärmgeplagten bedeute das, „dass plötzlich mehr Leute mit illegalen Auspuffanlagen vor seinem Wohnzimmer rumkurven“.
René Bongartz von Bike-City.de setzt in seinem Vorschlag auf die Powergeilheit der Biker: Wenn der Fahrer mehr Leistung bekomme, könne er sich auch mit weniger Sound anfreunden. Und das ist genau das, was bei den Porsche-Technikern vor achtzehn Jahren rauskam: über 8 Dezibel leiser, 5 PS mehr Leistung und ein um 60 Prozent größeres Drehmoment.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen