: Alpenglüüühhn im Güterbahnhof
Heimspiel im Jungen Theater: Tim Fischer präsentierte sich per Georg-Kreisler-Programm als „Fackelträger der kultivierten Boshaftigkeit“
Georg Kreisler ist schon über achtzig und gehört zu den Ikonen des Cabaretts. 1922 in Wien geboren, flüchtete Kreisler als Halbwüchsiger vor Hitlers Wehrmacht nach Amerika, kehrt nach dem Zweiten Weltkrieg nach Europa zurück, wo er mit seinen „Liedern zum Fürchten“ berühmt wurde.
Längst lässt er andere für sich singen. Zum Beispiel Tim Fischer. Denn der kann das und will das auch: „Jetzt, da Georg Kreisler seine umjubelte Abschiedstournee gegeben hat, fühle ich mich aufgerufen, die Fackel der kultivierten Boshaftigkeit zu übernehmen und weiter durch deutsche Lande leuchten zu lassen.“
Es war nicht unbedingt eine Fackel, die während des Gastspiels im Jungen Theater am Güterbahnhof brannte, aber ein „Alpenglüüühhn“ auf jeden Fall. Nicht, dass man Fischer die Kreislersche Passion nicht abnähme. Aber es ist natürlich schon ein Unterschied, ob jemand das, was er besingt auch erlebt hat – oder nur davon erzählt.
Egal. Das Publikum liebt ihn, den Jungen von nebenan: Euphorischer Empfang, man weiß, was kommt, lehnt sich entspannt zurück, da kann nichts schiefgehen. Wird es auch nicht.
Tim Fischer hat zwar nicht die gereift-knarrige Stimme des Originals, er schnarrt auch keineswegs so wie ein Wiener Würstchen – sondern: Tim Fischer bleibt er selbst. Und singt fies, wenn es fies klingen muss, klingt gemein an den richtigen Stellen und neckisch frivol, wenn man es von ihm erwartet.
Mit einer Stimme, die Texte zu kleinen Geschichten modelliert. Wir erfahren was geschieht, „Wenn es dunkel wird in Alabama“, oder dass es finanziell günstiger ist, wenn eine Traumfrau immer nur ein Traum bleibt. Wunderbar breit schiebt sich die Stimme durch das „R“ im Arschkriecherlied („Der Staatsbeamte“).
Der bürgerliche Stubenmief scheinbarer Anständigkeit weht mit schwülem Hauch durch‘s Publikum, wenn er die Ehe mit abgelaufenen Haltbarkeitsdatum besingt: „Morgens dich, abends dich immerzu dich und dein Lächeln“. Sparsame Gesten unterstreichen den Inhalt.
Dezent verteilt, fast bescheiden, nie aufdringlich: So zelebriert diese zarte Gestalt im weißen Anzug, die ein bisschen aussieht wie die kleine Schwester von Zarah Leander, Kreislers Boshaftigkeit, aber auch dessen sentimentale Melancholie.
Sabine Steinmann
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