piwik no script img

Düster-traurige Großstadterzählung

Balanceakt mit filmähnlichen Sequenzen: Die Autorin Linn Ullmann stellt morgen bei Thalia ihren neuen Roman „Wenn ich bei dir bin“ vor

Mit Berührungen haben die Protagonisten Schwierigkeiten. Keine gewöhnliche, von Zeit zu Zeit auftretende Aversion, sondern pathologische Berührungsangst. Wenn ich bei dir bin heißt der zweite Roman der Norwegerin Linn Ullmann, doch den Personen darin ist schon das Beieinandersein zu viel. Isolation, Kommunikationsstörungen, der Mensch als Insel, wie auch in About a Boy so großartig thematisiert: Der Mensch ist und bleibt einsam, wenn er sich nicht einen ordentlichen Ruck gibt oder ihn der Zufall überrascht. Meistens hat er ja keinen sehnlicheren Wunsch, als dass die Isolation ein Ende habe.

Ullmanns Roman ist einer mit vielen auf ihr Erzählrecht pochenden Stimmen, die die eigentliche Hauptperson Stella beredt an den Rand drängen. Stella ist tot – vom Dach eines Hochhauses gefallen oder von ihrem Ehemann Martin gestoßen, keiner weiß es und wird es je erfahren. Mal ertönt ihre Stimme von einem Video, das sie mit Martin aufgenommen hat und Bände über ihre komplizierte Beziehung spricht. Dann wieder gibt sie Kommentare aus dem Jenseits, so als wäre ihr Fall noch nicht abgeschlossen. Genau das wollen auch ihre jetzt auf sich gestellten Töchter Amanda und Bi glauben: „Sie fällt und fällt, ohne je unten aufzutreffen.“

Wenngleich der Roman mit der Erwartung der Auflösung des Falls spielt, ist Wenn ich bei dir bin alles andere als ein Krimi. Die vielen Perspektiven auf das Gemeinsam-Einsam-Sein ohne Hoffnung machen das Buch zu einer düster-traurigen Großstadterzählung mit filmähnlichen Sequenzen. Die Geschichten jeder Person sind tragisch und werben um Mitgefühl, besonders die vom alten Axel, der immer im Kampf mit sich und seiner emotionalen Behinderung ist.

Vor drei Jahren reüssierte Linn Ullmann, Tochter von Liv Ullmann und Ingmar Bergman, mit Die Lügnerin, einer eigenartigen und gleichzeitig bewegenden Familiengeschichte, rund erzählt aus der Perspektive einer jungen Frau, die weniger zu Lügen als vielmehr zu phantastischen Übertreibungen neigt. Wenn ich bei dir bin liefert dagegen mit seiner Aufspaltungstechnik ein, wenn auch nicht neues, Beispiel für das seinerseits gespaltene Gegenwartssubjekt. Manchmal hätte dem Leser einige Überdeutlichkeit vorenthalten werden dürfen. Darauf, dass Beziehungen ein Balanceakt sind, immer nah am Fall, kommt man auch so. Liv Heidbüchel

Lesung: morgen, 20.30 Uhr, Thalia Buchhaus, Spitalerstraße 8

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen