: Sarrazin als Agent provocateur
Finanzsenator Sarrazin will die Nachfolgefinanzierung im öffentlich geförderten Wohnungsbau kappen. Der Mieterverein, der schon frühzeitig gewarnt hatte, befürchtet nun Nachteile für die Mieter. Eine Expertenkommission soll alles richten
von WALTRAUD SCHWAB
Ganz offensichtlich ist Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) nicht nur ein Mann des Sparens, sondern auch einer der Provokation. Sein neuester Vorstoß: Für 25.000 Sozialbauwohnungen, die ab 1987 mit staatlicher Unterstützung gebaut wurden, soll angeblich keine Anschlussförderung mehr bewilligt werden. Ein dreistelliger Millionenbetrag könnte im Berliner Haushalt dadurch eingespart werden. Aus Sicht des Berliner Mietervereins wird dies zu erheblichen Nachteilen für die Mieter führen.
Auf einer Wahlkampfveranstaltung hat sich Sarrazin zu seinem neuesten Sparvorschlag hinreißen lassen. Den derzeitigen Stand der Diskussion im Senat gebe er damit nicht wieder, korrigiert die Pressestelle des Stadtentwicklungssenators Peter Strieder (SPD), Letzterer wohl Mit- aber auch Gegenspieler Sarrazins in dieser Sache.
Für Wahlkampfveranstaltungen, die nach der Schwarzweißlogik funktionen, mögen Sarrazins Verlautbarungen brauchbar sein, die hoch komplizierten Zusammenhänge, die bis in die Untiefen des Berliner Bausumpfes reichen, erklären sie nicht.
Bis Anfang der 70er-Jahre wurden Bauherren im sozialen Wohnungsbau Pauschalsummen zugewiesen. Damit mussten die Projekte finanziert werden. Danach wurde auf ein Darlehenssystem mit monatlichem Ratentilgungszuschuss durch den Senat umgestellt. 15 Jahre garantierte der Senat die Zuschüsse.
Mit Ablauf der Frist zeigte sich, dass die Kredite nicht getilgt waren. Nach Einschätzung des Mietervereins lag dies teilweise daran, dass zu teuer gebaut worden war. Deshalb sah sich der Senat veranlasst, im Anschluss noch einmal eine 15-jährige Nachförderungszeit zu bewilligen. „In der Tat ist die Berliner Situation so, dass das öffentliche Förderungssystem dazu geführt hat, dass die Kosten hochgetrieben wurden. Allerdings gilt das nicht für alle Wohnungsbauprojekte“, meint Reiner Wild, stellvertretender Geschäftsführer beim Mieterverein. Kostenmieten bis zu 40 Mark pro Quadratmeter wurden erreicht. Der Mieterverein hat bereits Anfang der 80er-Jahre darauf hingewiesen, dass dies in Berlin zu einem Sprengsatz zu werden droht.
Selbst Kostenmieten zwischen 23,45 und 31,56 Mark, wie sie für die nun zur Verhandlung stehenden Jahrgänge von 1987 bis 1989 gelten, sind durch die Quadratmetermiete, die im sozialen Wohnungsbau heute zwischen 4 und 5 Euro liegt, nicht rückfinanzierbar. Trotzdem muss der Senat derzeit entscheiden, wie weiterverfahren wird. Denn Anfang 2003 sind die ersten 15 Jahre Förderungszeit für die betreffenden Wohnungsbauprojekte um.
Sarrazin hat im Wahlkampf die Nachförderung in Frage gestellt. Eine brisante Angelegenheit, da bei einer solchen Entscheidung neben Mieterhöhungen und Wohnungsleerstand im sozialen Wohnungsbau auch Insolvenzen von einzelnen Grundstücksobjekten möglich wären.
Die Entscheidung, die nun ansteht, wird laut Oliver Schruoffeneger (Grüne) Präzendenzcharakter für die nachfolgenden zu teuer gebauten Wohnungsjahrgänge haben. Auch die Pressesprecherin des Stadtenwicklungssenators bestätigt, dass das Problem, noch dieses Jahr gelöst werden müsse. Deshalb sei eine „hochkarätig besetzte“ Kommission eingerichtet worden. Unter Vorsitz des Präsidenten des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Professor Klaus Zimmermann, sollen Fachleute aus Politik und Wirtschaft klären, wie sich der Wegfall der Nachfolgeförderung auf alle Beteiligten auswirken wird: auf die Mieter, die Bauunternehmen, die Wohnungsbaugesellschaften und schließlich auch auf die Steuerzahler.
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