: Haider lässt den Schüssel fallen
Minister aus der FPÖ verlassen das Kabinett. Kanzler Schüssel kündigt Neuwahlen an. Die könnten gute Chancen für eine rot-grüne Regierung eröffnen
aus Wien RALF LEONHARD
Österreichs schwarz-blaues Wendeprojekt ist beendet. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) kündigte gestern Nachmittag baldige Neuwahlen an. Schüssels Versuche, mit einer noch weiter nach rechts gewendeten FPÖ eine gemeinsame Basis zu finden und nach einer Kabinettsumbildung zur Tagesordnung überzugehen, waren am Montag gescheitert. Gespräche mit dem geschäftsführenden FPÖ-Chef Herbert Scheibner hatten keine Annäherung gebracht.
Sonntagabend hatten Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, Finanzminister Karl-Heinz Grasser und FPÖ-Fraktionschef Peter Westenthaler ihren Rücktritt von ihren Regierungs- bzw. Parteiposten kundzutun. Die Beschlüsse der FPÖ-Delegiertenversammlung von Knittelfeld, wo Jörg Haider am Samstag eine Kurskorrektur Richtung Oppositionspolitik vorgegeben hatte, werteten sie als Vertrauensentzug. Verteidigungsminister Herbert Scheibner, der mit Haider das Knittelfelder Papier ersonnen hatte, vertritt seine bisherige Chefin vorübergehend. Auch Infrastrukturminister Mathias Reichhold erklärte Montagfrüh, er würde sich nach dem FPÖ-Sonderparteitag vom 20. Oktober ins Privatleben zurückziehen. Sozial- und Frauenminister Herbert Haupt, der vor einer Woche noch erklärt hatten, er würde die Entscheidung seiner Vizekanzlerin mittragen, sah gestern keinen Grund mehr, aus der Regierung auszuscheiden. Auch Justizminister Dieter Böhmdorfer und die beiden Staatssekretäre Mares Rossmann (Tourismus) und Reinhart Waneck (Gesundheit) wollen bleiben. Die zurückgetretenen Minister bleiben in ihren Ämtern, bis die FPÖ ihre Nachfolger bestimmt.
Der Nationalrat wird bei seinem nächsten Zusammentreten am 19. September seine Auflösung beschließen. Ein Antrag der SPÖ dazu liegt schon vor. Wahrscheinlicher Termin für Neuwahlen ist der 24. November.
Die ersten, die den Wahlkampf eröffneten, waren die Sozialdemokraten. Sie wollen als erste Tat in der Regierung den Kauf von 18 Eurofighters stoppen und die dafür vorgesehenen zwei Milliarden Euro in Arbeitsmarktpolitik stecken. Wenn Wolfgang Schüssel „unter den geänderten Kräfteverhältnissen in der FPÖ“ weitermache, so Parteichef Alfred Gusenbauer in einer Pressekonferenz, „besteht die Gefahr, dass die Regierung bei den Verhandlungen über die EU-Osterweiterung zur Lachnummer wird“. Die jüngsten Beschlüsse hätten die FPÖ verpflichtet, ihre Vetodrohung gegen den EU-Beitritt Tschechiens wahr zu machen.
Die Machtübernahme des Haider-Flügels in der FPÖ ist für die Sozialdemokraten eine besondere Herausforderung. Denn beide umwerben die klassische SP-Klientel in den Wiener Gemeindebauten und den Industriezentren der Bundesländer. Es ist zu erwarten, dass Haider seine Propaganda gegen Ausländer und EU-Osterweiterung verstärkt, um die inzwischen wieder abgewanderten Wechselwähler der am wenigsten gebildeten Schichten zurückzugewinnen. Der FPÖ geben die Umfragen gegenwärtig nur 18 Prozent gegenüber ihrem Wahlergebnis von 27 Prozent.
Immerhin: Obwohl Alfred Gusenbauers persönliche Sympathiewerte bescheiden sind, wird die SPÖ ihre Position als stärkste Partei halten. Alles andere wäre eine große Überraschung. Sie kann sich dann vermutlich als einzige Partei den Koalitionspartner aussuchen. Eine Option ist die Rückkehr zur großen Koalition mit der ÖVP, die andere wäre eine Allianz mit den Grünen. Vorausgesetzt, die derzeitige Stimmungslage im Wahlvolk, die der SPÖ rund 36 und den Grünen zwischen 13 und 15 Prozent verspricht, hält an.
Die Grünen haben von der Wendepolitik am meisten profitiert. Ihr Wählerpotenzial hat sich seit den Wahlen 1999 verdoppelt. Und der für die Grünen früher so charakteristische interne Hader wurde unter Parteichef Van der Bellen beendet: „Wir sind professioneller geworden“. Deswegen sind sie zuversichtlich, dass der Tag der Regierungsbeteiligung naht.
Nicht zu beneiden ist Wolfgang Schüssel. Er hat sich schon einmal verspekuliert: 1995 hat er Neuwahlen vom Zaun gebrochen, ohne dass es ihm dann gelang, die von Franz Vranitzky geführte SPÖ zu überholen. Sein Schicksal ist so eng mit dem Wendeprojekt verknüpft, dass jede neue Konstellation nicht nur sein Ende als Bundeskanzler, sondern wohl auch seine Ablösung als Parteichef bedeutet. Den Juniorpartner der SPÖ wird er nicht abgeben wollen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich nach den Wahlen eine Neuauflage von Schwarz-Blau ausgehen sollte, wird ihm wohl die eigene Basis ein weiteres Bündnis mit der Haider-FPÖ verbieten. Schüssel müsste also die ÖVP zur stärksten Kraft machen, um politisch zu überleben. Und für diesen Wahlausgang gibt es nach den jüngsten Ereignissen wenige Anzeichen.
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