Der geheimnislose Bürger

Rechtssenat beschließt Verfassungsschutzgesetz nach den Vorgaben von Schilys „Otto-Katalog“. Erweiterte Befugnisse zur Kriminalitätsbekämpfung durch Geheimdienst auf Eis gelegt

von KAI VON APPEN

Pünktlich zum Jahrestag des 11. September hat Hamburgs Rechtssenat gestern die Novelle für ein neues Verfassungsschutzgesetz verabschiedet, das dem Geheimdienst an der Elbe für fünf Jahre erweiterte Befugnisse zum Schnüffeln und Lauschen einräumt. Für Innenstaatsrat Walter Wellinghausen ist es nur die lokale Umsetzung des „Otto-Katalogs“, des zweiten rot-grünen „Antiterrorpakets“ von Bundesinnenminister Otto Schily. „Wir haben die enthaltenen Maßnahmen anwendbar gemacht“, so Wellinghausen. Auch wenn das Gesetz nach fünf Jahren einer Praxisüberprüfung standhalten muss, bezeichnen Bürgerrechtler und Datenschutzbeauftragte es als einen Schritt zur „Zerschlagung des Rechtsstaates“ zugunsten eines „Geheimdienststaates“.

Obwohl die radikale islamistische Szene seit Jahren unter Beobachtung des Verfassungsschutzes (VS) steht, und die Attentäter von Manhattan und Washington aus ihrer Gesinnung keinen Hehl machten, sind sie in Hamburg unauffällig und unerkannt geblieben. Schwarz-Schill möchte nun den Schlapphüten noch mehr Eingriffsrechte geben. So soll es dem VS künftig „ohne konkreten Anfangsverdacht“ gestattet sein, Bankgeschäfte wegen „möglicher terroristischer Geldströme“ oder den Postverkehr zu überwachen. Daten von Fluggesellschaften können auf Reiseaktivitäten untersucht werden, Handyortung sowie das Abhören und Aufzeichnen von Mobil- und Telefongesprächen soll zum gängigen Repertoire der Geheimdienstler gehören. Auch der „wohnungstechnische Eingriff“ – der große Lauschangriff – ist danach zulässig. Kontrolliert werden die Maßnahmen lediglich von der G 10-Geheimdienst-Kommission der Bürgerschaft.

Seinen Vorstoß, unter dem Deckmantel der „Terrorismusbekämpfung“ dem VS künftig Ermittlungsaufgaben im Bereich Organisierter Kriminalität (OK) einzuräumen, hat Wellinghausen indes auf Eis legen müssen. „Es bedarf noch Abstimmung mit anderen Bundesländern, um die Regelungen zu vereinheitlichen“, so die offizielle Version. Es ist aber kein Geheimnis, dass FDP sowie die Regierungen anderer Bundesländern bei der Aufhebung der klaren Trennung von Polizei und Geheimdienst Bauchschmerzen haben – auch weil sich VS-Agenten und V-Leuten der Polizei gegenseitig auf die Füsse treten könnten.

Bayern ist das einzige Bundesland, in dem schon vor dem 11. September 2001 die Trennung von Polizei- und Geheimdienst im OK-Bereich aufgehoben worden ist. „Es war der große Aufreißer, um dem VS zusätzliche Aufgaben zuzuschustern und ihm die Existenzberechtigung zu sichern“, sagt die innenpolitische Sprecherin der Grünen im bayrischen Landtag, Susanna Tausenfreund. „Große Erfolge konnten nicht erzielt werden.“

Und auch aus Hessen, wo das VS-Gesetz im April geändert worden ist, gibt es noch keine Erfolge zu vermelden. Der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Stein, zur taz hamburg: „Wenn es solche Erfolge gegeben hätte, hätte der Innenminister schon längst geprahlt.“

Nichtsdestotrotz hat Wellinhausen bereits einen neuen Vorstoß gewagt. Nach dem Vorbild des „Homeland Security Departement“ in den USA möchte der Innenstaatsrat den Zoll, Bundesgrenzzschutz und die Wasserschutzpolizei sowie das Oberhafenamt als Antiterrormaßnahme zu einer Hafensicherheitsbehörde zusammenfassen.