Der neue Terror ist private Gewalt

So einschneidend waren die Veränderungen nach dem 11 September nicht, dass sich die Welt offensichtlich verändert hätte. Staaten besitzen kein Kriegsmonopol mehr, und gegen diese Entwicklung führen sie Krieg, resümiert der Bremer Politikwissenschaftler Michael Zürn

Der Terroranschlag am 11. September vor einem Jahr war eine Art neuer Krieg. So urteilte vor einem Jahr der Bremer Politikwissenschaftler Michael Zürn. Als Co-Leiter des Instituts für interkulturelle und internationale Studien befürchtete er damals auch eine vereinfachende Gegenüberstellung der „aufgeklärten“ westlichen Welt und der islamischen.

Hat der Anschlag vom 11. September die Welt verändert?

Die Feststellung, dass die Welt nicht mehr so ist wie vorher, ist natürlich trivial. Ob wir wirklich eine neue Weltordnung haben – darüber lässt sich trefflich streiten. Wir erleben jedenfalls eine größere Bewusstwerdung davon, dass kollektive Gewalt im internationalen Rahmen nicht mehr Staaten vorbehalten ist. Private oder nichtstaatliche Gewaltanwender wie Terroristen beschränken sich nicht mehr auf ihr eigenes Territorium. Manche Leute gehen ja davon aus, dass sich das Staatenkonzept, wie wir es kennen eigentlich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchgesetzt hat. Nämlich als es den Staaten gelang, transnationale Gewaltanwender auszumerzen, Piraten, Söldner etcetera. Jetzt kehrt diese transnationale Form der Gewalt wieder.

Damals war auch die Rede von der Entstehung eines neuen Feindbildes: Ost-West war als aggressionsauslösendes Muster verschwunden. Viele befürchteten, dass der islamische Glaube jetzt die Stelle des Feindbildes einnimmt.

Ich sehe jedenfalls – und das ist die zweite wichtige Veränderung –, dass sich die amerikanische Außenpolitik scharf weg von den Ansätzen eines Multilateralismus zum Unilateralismus entwickelt hat. Das muss nicht so bleiben, das ist die Lehre, die die Bush-Administration gezogen hat – durchaus im Sinne des militärischen Apperates – und die den Terrorismus als neue Bedrohung einsetzt.

Dazu gehört auch der von den USA angestrebte Krieg gegen den Irak?

Wir erleben, dass sich die Staatengemeinschaft zusammentut, um mit alten Kriegen gegen diesen neuen Krieg vorzugehen. Allerdings im Namen internationaler Ordnungsprinzipien, und das setzt voraus, dass die nationalen und die internationalen Öffentlichkeiten ihre Zustimmung zu diesen Kriegen geben. Das gelingt der amerikanischen Regierung im Irak-Fall nicht. Es gibt unklare Begründungen und eine miserable Beweislage. Deshalb fehlt die Unterstützung in den internationalen Gremien mit Rückwirkung auf die Öffentlichkeit in den USA. Die Irak-Frage könnte zum Testfall des Widerstreits zweier Tendenzen werden: dem generellen Trend zur Multilateralisierung der kriegerischen Gewaltanwendung in der OECD-Welt und dem spezifischen US-Trend der Rückkehr zum Unilateralismus.

In Deutschland sind zwei Sicherheitspakete verabschiedet worden. Die CDU – unter anderem Bremens Senator Kuno Böse – fordert ein drittes. Damit er nicht auf die Bundesregierung warten muss, hat Böse schon mal eine Video-Überwachung am Bahnhof installiert. Inwiefern ist der 11. September in derbundesdeutschen Innenpolitik benutzt worden?

Ich sehe schon, dass im Vorgriff auf Ängste und in der Instrumentalisierung dieser Ängste bestimmte Maßnahmen durchgeführt wurden. Auf der anderen Seite denke, ich: Der Rechtsstaat ist durch eine Videokamera nicht gefährdet. Nehmen wir an, wir würden in New York leben – die Wahrscheinlichkeit ist da, dass innerhalb der nächsten fünf Jahre eine schmutzige Bombe in dieser Stadt einschlagen wird. Eine solche Aussicht macht klar: Man sollte alles Mögliche tun, um die Wahrscheinlichkeit eines möglicherweise noch schrecklicheren Anschlages zu reduzieren. Auf Null geht es sowieso nicht.

Viele äußerten vor einem Jahr die Befürchtung, dass die Friedens- und Konfliktforschung hinter den militärischen Abwehrkämpfen weit zurückstehen würde.

Es ist schwierig, wissenschaftlich fundierte Verbindungen zwischen den von der westlichen Politik verursachten Fehlentwicklungen in der dritten Welt und dann solchen Terroranschlägen herzustellen. Diese Verbindungen sind aber sehr wahrscheinlich. Das Missverhältnis zwischen militärischen Reaktionen und Ursachenbekämpfung ist da – das zeigte auch der Gipfel in Johannesburg. Beispiel Handelspolitik: Bereiche, in denen die Entwicklungsländer eine bessere Position haben, sind nicht in derselben Weise liberalisiert worden wie die westlichen Märkte. Da fühlen wir uns in unserem Wohlstand wohl und die Politik geht den bequemen Weg. Für einschneidende internationaleMaßnahmen, die auch für unsere Lebensqualität so bedeutsam wären, wie die Videokamera, fehlt der Mut. Fragen: hey