„Anforderungen stellen“

Peter Strieder, SPD-Chef und Stadtentwicklungssenator, hat sich Gedanken über Einwanderung gemacht. Er will Tabus aufbrechen und fordert von den Migranten mehr Integrationsbereitschaft

Interview ROBIN ALEXANDER
und SABINE AM ORDE

taz: Herr Strieder, in Ihren Thesen über eine zukünftige Metropolenpolitik schreiben Sie, „das Gemeinwesen muss von Neuankömmlingen mehr Integration verlangen“. Sind die nichtdeutschen Berliner nicht integrationswillig genug?

Peter Strieder: Wir müssen die Frage andersherum stellen: Macht die deutsche Gesellschaft genug Angebote für die Integration? Integration bedeutet allerdings auch, dass die Gesellschaft Anforderungen an die Migranten stellt. Und da muss sich die Linke fragen lassen, ob sie weiterhin alles tabuisieren kann.

Was ist tabuisiert worden?

Die Diskussion, wie sich Lebensbedingungen von Einwanderern aus ländlichen Gebieten in einer städtischen Gesellschaft verändern, ist vermieden worden. Und zwar nicht nur die materiellen und kulturellen Lebensbedingungen. Das ist einerseits eine Frage des Angebots: Schule, Ausbildung, Sprachkurse. Aber es ist andererseits auch eine Frage der Integrationsbereitschaft, dass solche Angebote tatsächlich wahrgenommen werden. Wir haben aus Angst, Beifall von der falschen Seite zu bekommen, diese Anforderungen nicht deutlich genug ausgesprochen.

Welche Anforderungen?

Zum Beispiel die Frage, welche Verhaltensweisen sind in einer städtischen, westlichen Gesellschaft notwendig, um sich zu integrieren.

Und welche sind das?

Städtisches Leben, also das Zusammenleben auf relativ engem Raum, verlangt Rücksichtnahme von allen Bürgern. Angefangen bei der Lautstärke von Musik bis zum Machoverhalten Jugendlicher. Aber auch die Frage, ob Kinder bis spät in die Nacht auf der Straße sein sollten, wenn morgens um acht die Schule beginnt, gehört dazu.

Verwechseln Sie nicht ein ethnisches mit einem sozialen Problem?

Nein. Es ist ein kulturelles Problem, das mit der besonderen Form der Migration aus ländlichen Gebieten zusammenhängt und kein genereller Vorwurf an die Migranten. Aber wir müssen Dinge, die zu gesellschaftlichen Spannungen führen, zur Sprache bringen.

Der Türkische Bund sagt, Ihre Äußerungen seien geeignet, Ressentiments gegen Migranten zu schüren.

Die Tabuisierung des Themas führt uns nicht weiter. Der Türkische Bund ist nur erschrocken darüber, dass es mal einer ausspricht. Die Notwendigkeiten erkennt er durchaus und bietet deshalb Integrationskurse an. Meine Thesen haben zu einer breiten und sachlichen Debatte über dieses Thema in der Stadt geführt. Das hat nichts mit Ressentiments zu tun, sondern mit Problembewusstsein.

Sie fordern in Ihrem Papier auch ein umfassendes Integrationsangebot von Gesellschaft und Staat. Wie soll dieses Angebot aussehen?

Wir brauchen Integrationskurse für alle Neuankömmlinge. Das geht von sozialen und kulturellen Kenntnissen bis zum Wissen, wie ich mit Ämtern zurecht komme. Nachziehende Ehepartner sprechen und lernen häufig nicht Deutsch. Auch die Angebote über das Satellitenfernsehen führen dazu, dass zum Beispiel in türkischen Familien kaum noch Deutsch gesprochen wird. Da müssen wir offensiv Angebote machen, damit die Bildungschancen für die Kinder steigen. Die hohe Zahl von Migrantenkindern ohne Schulabschluss muss uns alarmieren.

Solche Angebote gibt es schon. Die so genannten Mütterkurse sind sehr erfolgreich.

Das stimmt. Sie reichen aber nicht. Wir müssen den Familien erklären, dass es in der Kita nicht nur um Betreuung, sondern auch um Lernen geht. Wir müssen erreichen, dass Familien ihre Kinder auch dann in die Kita schicken, wenn ein Elternteil zu Hause ist.

Ist das Problem nicht eher, dass Kitas und Schulen noch immer keine Konzepte haben, mit diesen Kindern umzugehen – und die Politik auch nicht?

Es ist ein schwerwiegendes Versäumnis, jetzt erst die Bedeutung von Deutsch als Zweitsprache erkannt zu haben. Dies geschah erst auf Druck von Lehrerinnen und Lehrern. Die Universitäten haben das verschlafen. Wir haben noch keine zufriedenstellenden Antworten auf die Frage: Wie wird für die Kita ausgebildet? Was wird in der Kita gelernt?

Und welche Konzepte schlagen Sie vor?

Die engagierten Lehrerinnen und Lehrer haben Konzepte, sie sind in ihrer täglichen Praxis der Schulbürokratie weit voraus …

die seit Jahren unter sozialdemokratischer Führung steht.

Wir haben mit Geld und Lehrerstellen reagiert, das reicht nicht. Mein Fazit ist aber die Frage, die wir in Berlin insgesamt zu stellen haben: Wird die Leistung tatsächlich erbracht, die mit unserem Input an Mitteln möglich gewesen wäre?

Das ist aber noch kein Konzept.

Aber eine wichtige Frage, die wir an die Schule stellen müssen, wie auch an die Politik, die Verwaltung, die Universitäten, insgesamt an den öffentlichen Sektor und die Verkehrsbetriebe. Wir haben in Berlin in vielen Bereichen ein Effizienzproblem.

In halb Europa haben Sozialdemokraten Wahlen gegen Rechtspopulisten verloren. Sprechen Sie deshalb mitten im Wahlkampf ein klassisch rechtes Thema an?

Aber nein! Was ich zum Thema Migration zu sagen habe, beruht nicht auf meiner persönlichen Lebenserfahrung als Kreuzberger, dessen Kinder in Kreuzberg zur Schule gehen. Die Zukunft der Stadt hängt davon ab, wie international die Stadt bleibt. Berlin braucht Zuwanderung. Diese Zuwanderung wird für die Berliner nur akzeptabel sein, wenn sie merken, dass es auch um ihre Zukunftschancen geht. Die Kulturdebatte, die ich angestoßen habe, ist mitentscheidend für die Zukunft Berlins.