Vergebliche Liebe, ganz modern

David Mouchtar-Samurai aktualisiert Giuseppe Verdis „Aida“

Als „veronesisches Breitwandspektakel“ wurde sie oft gescholten: Giuseppe Verdis Oper „Aida“. Keine Spur davon im Bremer Theater. Gleich die ersten zärtlichen Takte machten hier die musikalische Richtung deutlich.

In seiner ersten Opern-Einstudierung konturierte der neue Generalmusikdirektor der Bremer Philharmoniker und Operndirektor Lawrence Renes Klangnuancen mit ungemeiner Intensität, meißelte dramatische, vorwärts ziehende Entwicklungen heraus. Souverän hielt er dabei den Riesenapparat in der Hand: beste Vorboten für die nächsten Spielzeiten.

Wenn die Musik, wie in diesem Fall, als absolut gleichwertiger Erzählpartner zur Szene präsentiert wird, trägt das auch die szenischen Fragwürdigkeiten, von denen es an diesem Abend so einige gab. Das meint nicht den überzeugenden Grundansatz von David Mouchtar-Samurai. Er legt den in der Zeit der Pharaonen liegenden Konflikt der mächtigen Ägypter mit den geschlagenen Äthiopiern in unsere Zeit, zeigt eine befrackte Industriegesellschaft, die das Sagen über Krieg und Frieden hat und mit Feiern, oberflächlichen und perversen Unterhaltungsspielchen beschäftigt ist. Dafür nutzt Mouchtar-Samurai geschickt die vielen Tänze im ersten, sonst so pompösen Akt. Die bedrohliche Glattheit, mit der da mal so eben über Krieg entschieden wird, kommt gut herüber. Auch der Auftritt der gefangenen Äthiopier, hier Flüchtlinge, die zum Ekel der feinen Gesellschaft hereinstürmen, weckt aktuelle Assoziationen. Zu wenig ausgearbeitet scheint jedoch im ersten Teil die individuelle Ebene. Die Spannung zwischen dem ägyptischen Feldherrn Radamès, der Pharaonentochter Amneris und der äthiopischen Sklavin Aida wird zu wenig konturiert und nach vorne gezogen.

Anders im dritten und vierten Akt, in denen die Aufführung erheblich an Format gewinnt. Streng wird die Liebe zwischen Radamès und Aida in die Ebene der Unwirklichkeit gehoben, wird sie, was durch die selig-heitere Musik vorgegeben ist, zu dem Leben, das in dem totalitären System nicht möglich ist: „Warum fassen die sich eigentlich nicht an?“, fragte meine Nachbarin. Mouchtar-Samurai fasst etwas von der Resignation des späten Verdi, der 1871 an Veränderbarkeit durch Menschen nicht mehr glaubt. Die Sachverwalter von „law and order“ siegen – mit ihrem Oberpriester und ihren Ritualen.

Nicht nur Radamès und Aida werden zerstört, sondern auch die ägyptische Königstochter Amneris, die allzu häufig ein keifernd-eifersüchtiges Operndasein führt. Hier hingegen ist sie eine leidenschaftlich empfindende Frau, die zerrieben wird in den Fängen ihrer Gesellschaft, dem Alkohol verfallen und grenzenlos einsam. In wahrer menschlicher Größe wird sie am Ende Aida ebenbürtig: Das Schlusswort „Pace“ kommt aus ihrem Mund.

Der Eindruck zu großer Undeutlichkeit in den ersten beiden Akten lag auch an den SängerInnen: Birgit Eger glänzte als Aida zwar mit berückenden Pianotönen, wirkte sonst aber leicht unausgeglichen und sehr angestrengt. Sergey Nayda nahm sich dermaßen zurück, dass man eine Indisposition vermuten konnte. Beide konnten sich jedoch im zweiten Teil unvergleichlich steigern und zusammen mit Sonja Borowski-Tudor als Amneris geriet die Aufführung immer schlüssiger.

Das Bühnenbild mit einem riesigen Spiegel im Hintergrund und die Kostüme trugen das ihre dazu bei, den aktualisierenden Ansatz Mouchtar-Samurais zu stützen. Karl Humls Oberpriester Ramphis und George Stevens Amonasro ragten noch einmal um eine Klasse besser heraus.

Bei Stevens ist es stets faszinierend, wie er im Unterschied zu vielen anderen Sängern niemals aus seiner Rolle herausgeht, wenn er musikalisch nicht dran ist. In dieser Hinsicht müsste gerade Nayda seine Rolle noch einmal überdenken, sein Spiel war doch streckenweise recht dröge.

Insgesamt blieb der anregende Versuch Mouchtar-Samurais, zu einem beunruhigenden rätselhaften Stück Seelen-Archäologie aufzubrechen, leider hinter der musikalischen Leistung etwas zurück. Ein Sonderlob gilt dem Chor.

Ute Schalz-Laurenze