Eiskaltes Kalkulieren

In München Barons, wurden sie in Hamburg zu den Freezers – auf Geheiß des US-Investors Anschutz, der die PR-Maschine nun im Norden röhren lässt. Aber lassen sich damit genug Eishockeyfans locken?

aus Hamburg RENÉ MARTENS

Als er 1975 seine Karriere beim EC Bad Tölz begann, sei es familär und bodenständig zugegangen im deutschen Eishockey, sagt Beppo Schlickenrieder, der mittlerweile 44 Jahre alt ist. Die Höhepunkte einer Saison seien die Derbys gegen den EV Füssen oder den SC Riessersee gewesen. Es waren die letzten Jahre einer beschaulichen Ära. „Schon Anfang der 80er-Jahre hat sich angedeutet, dass die Clubs aus den kleinen Städten finanziell nicht mehr mithalten können, da hat sich das Spitzeneishockey in die Großstädte verlagert“, sagt der 53-malige Nationalspieler, der neben Erich Weishaupt und Karl Friesen zu den großen deutschen Eishockeykeepern zählte.

Heute ist Schlickenrieder Torwarttrainer bei den Hamburg Freezers, und bodenständig ist hier rein gar nichts. In der letzten Saison firmierte die Mannschaft noch unter dem Namen München Barons, in Hamburg sind aus den Baronen die Freezers geworden, tiefgekühlte Schlittschuhläufer. Die Deutsche Eishockey-Liga (DEL) hatte Anfang Juni zugestimmt, dass die Lizenz der Barons auf das neue Team umgeschrieben wird. Ursprünglich hatte die Lizenz mal dem EV Landshut gehört, der sie aber 1999 für drei Millionen Mark an die Barons verkaufte.

Schlickenrieders mittelbarer Brötchengeber ist nunmehr der US-Amerikaner Philip F. Anschutz, der die Ortsnamen Bad Tölz und Füssen noch nie gehört haben dürfte. Im Geschäft mit Erdöl, Eisenbahnen und der Telekommunikation hat er ein Vermögen von 16,5 Milliarden Dollar angehäuft, was ihn zu einem der zehn reichsten Männern der Welt macht. Seiner Anschutz Entertainment Group (AEG), die 70 Prozent an den Freezers hält, gehören darüber hinaus in Los Angeles die Kings (Eishockey) und L.A. Galaxy (Fußball), und an den dortigen Basketballteams der Lakers und Sparks (Frauen) ist er zumindest beteiligt. Neben Los Angeles Galaxy besitzt Anschutz vier weitere Mannschaften der Major League Soccer.

In Europa setzt seine Firma auf Eishockey: Sie unterhält die Eisbären Berlin sowie Teams in London, Prag, Genf und Stockholm. Diese Engagements sind meistens an große Bauvorhaben gekoppelt. An der Grenze der Berliner Stadtteile Friedrichshain und Kreuzberg plant die AEG ein komplettes Wohn- und Vergnügungsviertel inklusive einer Veranstaltungshalle, in der natürlich die Eisbären spielen sollen.

Anschutz verfolgte natürlich einen Plan, indem er ein komplettes Eishockeyteam von München nach Hamburg transferierte: Hier wird gerade eine passende Halle gebaut. Gegenüber dem ehemaligen Volksparkstadion entsteht die „Color Line Arena“, die nach ihrer Fertigstellung im November 13.886 Zuschauer fassen wird. Soll sich eine solche Halle samt ihrer sechs Restaurants rentieren, sind die Betreiber auf regelmäßigen Ligabetrieb angewiesen. HC Jokerit, die Firma des Arena-Investors Harry Harkimo, hat sich deshalb mit 30 Prozent an der neuen Mannschaft beteiligt.

Die Freezers sind gegen die Krefeld Pinguins mit einem 1:5 in die neue Saison gestartet und ließen im zweiten Spiel eine 3:4-Niederlage in Augsburg folgen. In der Tabelle liegen sie auf dem letzten Platz – allerdings mit zwei Matches weniger als die Konkurrenz, da die Freezers derzeit nur auswärts antreten. Weil die DEL mit dem Saisonstart schlechterdings nicht warten konnte, bis die neue Halle fertig ist, muss das Team nach der Premiere noch elfmal hintereinander auf fremdem Eis antreten. Immerhin kommt zum ersten Heimspiel am 12. November der attraktivste Gegner: die Kölner Haie, gecoacht von Bundestrainer Hans Zach.

Das Eishockey-Engagement in München erwies sich für die AEG als kostspieliges Abenteuer. Insgesamt investierten Anschutz’ Sportkameraden hier 15 Millionen Euro. Doch obwohl die Barons im Jahr 2000, in ihrer erster Saison, gleich den Meistertiel holten und 2001 Zweiter in der DEL wurden, hätten sie „nach dreijähriger Betriebszeit die Wirtschaftlichkeit nicht erreicht“, sagt Detlef Kornett, der Europa-Bevollmächtigte der AEG. In der letzten Saison kamen im Schnitt nur 3.000 Zuschauer. „Es gab da Fans, die darüber geklagt haben, dass in der Mannschaft kein Spieler aus München steht“, sagt Beppo Schlickenrieder. „Aber beim FC Bayern stört sich daran ja komischerweise keiner.“

Die Freezers peilen jetzt einen Schnitt von 5.000 Zuschauern an, was ein bisschen hoch gegriffen wirkt, denn die Kernanhängerschaft für Eishockey in Hamburg wird – gemessen an der Resonanz, die hiesige Zweitligaclubs in der Vergangenheit erreichten – auf ungefähr 2.000 geschätzt. Hinzu kommt, dass sich ab November die Heimspiele ballen. Und dann sind da ja auch noch die aus Bad Schwartau importierten Bundesliga-Handballer, die unter dem Namen HSV nun ebenfalls dafür sorgen sollen, dass der neue Sporttempel respektabel ausgelastet ist. Auch die Handballer kalkulieren mit 5.000 Zuschauern.

Warum soll ausgerechnet in Hamburg klappen, was in München nicht gelang? Zumal die AEG, anders als jetzt an der Alster, in der Stadt der Barons wenigstens auf einer nennenswerten Eishockey-Tradition hatte aufbauen können. Hamburg habe „eine ganz andere Veranstaltungslandschaft“ als München, kontert Freezers-Geschäftsführer Boris Capla. „In Hamburg dominiert der Fußball auch, aber in München überschattet er alles.“ Dabei vergisst Capla, dass sich sein Unternehmen am neuen Standort nicht allein mit dem HSV und dem FC St. Pauli messen muss, sondern auch mit dem Football-Team Blue Devils, das im Schnitt rund 8.000 Zuschauer erreicht. Zumindest der Vertrag mit der „Color-Line-Arena“ lässt darauf schließen, dass das Abenteuer in Hamburg länger dauern soll als das in München: Er läuft über fünf Jahre und beinhaltet eine Option auf weitere fünf. Angesichts der „enormen Verluste“ (Kornett), die Anschutz mit den Barons eingefahren hat, müssen die Freezers mit nur noch 4,45 Millionen Euro auskommen, knapp eine halbe Million weniger als das Vorgängerteam. Trainer Sean Simpson gibt als Ziel die Play-offs aus, das heißt, mindestens Platz acht.

Zumindest was die Public Relation betrifft, können sich die Freezers natürlich nicht lumpen lassen, da hat die AEG Strategien großen Stils im Sinn. Deshalb hat man die Agentur des Diplompolitologen Wolfgang Raike engagiert, die, wie praktisch, auch für die „Color Line Arena“ und die HSV-Handballer trommelt. Sonst arbeitet Raike für Kunden wie Beiersdorf und die Volkswagen Finanz GmbH. Seine beste Referenz beeindruckt sogar den traditionsverbundenen Beppo Schlickenrieder ein bisschen: Raike war zwei Jahre lang Sprecher der Hamburger Wirtschaftsbehörde.