piwik no script img

Suspense aus dem Katalog

Für den Thriller „Genug“ steckt Michael Apted eine Frau in den Kampfanzug – leider erst nach vier Fünfteln des Films

Wehrhafte Mütter haben in Hollywood derzeit Hochkonjunktur. Vorbei scheint die Zeit der weiblichen Cops, die aus purer Lust am Beruf in den Nahkampf mit dem Bösen traten. Dagegen durften Jodie Foster in „Panic Room“, Tilda Swinton in „The Deep End“ demonstrieren, zu welcher Aggression Frauen imstande sind, wenn es um den Schutz der eigenen Brut geht. Der Trend wird erneut bestätigt, wenn sich nun auch Jennifer Lopez in Michael Apteds neuem Thriller „Genug“ unter die wehrhaften Mütter einreiht. Bezeichnenderweise begann Lopez' große Karriere mit einer Filmfigur, die den Niedergang des weiblichen Cops geradezu besiegelte. In Steven Soderberghs „Out of Sight“ gab sie die FBI-Agentin Karen Sisco, die von George Clooney im Kofferraum entführt wurde.

Bei Apted darf Lopez zwar Kämpferqualitäten zeigen. Aber das dauert. Zuvor erklärt „Genug“ in einer breit angelegten Verfolgungsjagd, wie es dazu kommen konnte. Die Kellnerin Slim (Lopez) entflieht mit ihrer Tochter (Tessa Allen) dem Gefängnis, zu dem ihre Ehe mit dem brutalen Mitch (Billy Campbell) geworden ist. Doch er verfolgt sie quer durch die USA. Slim erkennt, dass ihr nur die Flucht nach vorn bleibt, und wird von der Gejagten zur Jägerin. Da sind leider schon vier Fünftel des Films vorbei.

Eine Geschichte, in der ein Opfer sich gegen seinen Peiniger wendet, kann auf verschiedene Art erzählt werden. Ein Psychothriller etwa würde seine Hauptfigur umkreisen, ihre extremen Handlungen begreifbar machen wollen. Ein Actionthriller würde das Motiv des Zweikampfes breit ausschmücken und keine Gelegenheit zu spektakulären Stunts auslassen. „Genug“ will beides: zeigen, wie eine lebenslustige junge Frau und Mutter in einer Extremsituation zur Kämpferin werden kann, und zugleich ein flotter Actionfilm bleiben. Das funktioniert nicht. Wie aus dem Katalog reiht sich ein Suspense-Element ans nächste (sogar ein Duschvorhang tritt auf), und während Slims allzu langer Flucht werden die Zuschauer permanent in Atem gehalten. Daran geht die Geschichte kaputt. Das Ende – der Zweikampf – verliert seine dramaturgische Bedeutung als Spannungsgipfel, da man sich bereits erleichtert zurücklehnt, wenn Slim den Spieß endlich umdreht und die Verfolgung aufnimmt. Slim wird auf der wilden Jagd zu einer Art Comicfigur degradiert. Das Drehbuch muss zu allerlei plumpen Unwahrscheinlichkeiten greifen, um klar zu machen, dass ihr kein anderer Ausweg bleibt als die Selbstjustiz.

Was nun den Topos der wehrhaften Mutter betrifft, so spielt er in „Genug“ insofern eine Rolle, als er sich hervorragend für die Zwecke des Actionthrillers ausnutzen lässt. Denn schließlich können heutzutage höchstens hart gesottene Formel-1-Fans einer normalen Autoverfolgungsjagd noch etwas abgewinnen. Eine Verfolgungsjagd mit weinendem Kind auf dem Rücksitz dagegen erhöht schlagartig den Aufmerksamkeitswert. Da sollen wohl sogar die Frauenherzen wieder schneller schlagen.

KATHARINA GRANZIN

„Genug“. Regie: Michael Apted. Mit Jennifer Lopez, Bill Campbell, Juliette Lewis u. a., USA 2002, 114 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen