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Elektronisch tüfteln, funkig fließen

Home is where my Commodore is: Der französische House-Produzent Ludovic Llorca legt heute im Casino auf

Kein Elektrogerät hat in Europa so viel Schaden angerichtet wie der Commodore 64. Die Mutter aller Heimcomputer verwandelte in den Achtzigern eine ganze Generation hoffnungsvoller Jugendlicher in Bildschirmfetischisten. Auch in dem kleinen Dorf Saint-Quentin, irgendwozwischen Paris und Lille, verfiel ein Jüngling namens Ludovic Llorca den Verlockungen der klobigen 8-Bit-Maschine. Hätte Mutter Llorca den Kleinen nicht durch die lokalen Diskonächte gezerrt, wäre Ludovic heute sicher Grafikdesigner oder arbeitsloser Programmierer.

So aber wurde aus dem jungen Software-Tüftler ein DJ und Produzent, der sich in der französischen House-Szene schnell durchgesetzt hat. In „Newcomer“, Llorcas Debütalbum aus dem vergangenen Jahr, vereinigen sich elektronische Tüfteleien mit dem Soul und Funk der Achtziger zu einer organisch dahinfließenden Mischung. Weiche Basslinien, Jazz-Samples vom großen Charles Mingus und der sinnliche Gesang der Vokalistinnen Nicole Graham und Lady Bird versetzen den Zuhörer in eine Stimmung zwischen sonnendurchfluteter Tanzfläche und verrauchter Fünfzigerjahre-Bar.

Natürlich muss sich Ludovic Llorca Vergleiche mit seinem Namensvetter Ludovic Navarre alias St. Germain gefallen lassen – doch anders als der gern als „Vater des französischen Jazz-House“ bezeichnete St. Germain schreibt Llorca klar strukturierte Songs. Stücke wie „True to me“ oder die Ballade „Indigo Blues“ haben in ihrem dramaturgischen Aufbau das Zeug zu Jazz-House-Klassikern.

Auch live ist Llorca eine Klasse für sich. Beim Zusammenspiel mit seiner vierköpfigen Band sowie mit Lady Bird, die ihn auf seiner Tournee begleitet, bedient er seine Turntables wie ein improvisationsgestählter Jazzprofi, der genau weiß, wann er seinen Mitstreitern Freiraum geben muss.

Wenn er nicht auftritt, ist Ludovic Llorca ein schüchterner 26-Jähriger, der seine Produktionen am liebsten in Heimarbeit erledigt. In seiner Pariser Wohnung gegenüber dem Friedhof Père Lachaise bastelt er oft tagelang an seiner Mixtur aus Rhythmus und Understatement. Selbst für die Einspielung der Vokalparts auf „Newcomer“ wollte er kein Studio aufsuchen. Lady Bird und Nicole Graham mussten ihre Stücke auf Llorcas Toilette einsingen. Im Grunde ist er immer noch der Junge geblieben, der am liebsten zu Hause vor dem Bildschirm sitzt. FRANK WEIGAND

Llorca + Etro Anime, heute, 23 Uhr, Casino, Mühlenstr. 26–30, Friedrichshain

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