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Schlachtfest auf Weltniveau

Zerhackt, gepökelt und verspeist: Der Kriminalist Hans Girod versammelt in seinem Band „Der Kannibale“ Reportagen über „ungewöhnliche Todesfälle“ in der DDR

„Deutschland, einig Mörderland“: Menschen wurde zwischen 1949 und 1989 auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs umgebracht. Mal abgesehen von den Mauertoten, die gab es natürlich nur auf Ostseite. Doch daneben passierten auch in der DDR „normale“ Verbrechen, die nicht vom Staat, sondern von Privat verübt wurden. Der renommierte Verlag Das Neue Berlin hat seit einigen Jahren mit seinen „True Crime“-Reportagen eine Programmsparte, die sich mit eben diesen alltäglichen Fällen von Mord und Totschlag im Arbeiter-und-Bauern-Staat beschäftigt.

Hans Girod, Kriminalist mit DDR-Biografie, hat in diesem Rahmen mittlerweile eine ganze Serie von authentischen Fallgeschichten veröffentlicht. Als Spezialist für Sexual- und Gewaltdelikte und die Identifizierung unbekannter Toter hat Girod an der Humboldt-Universität bis in die Neunzigerjahre Generationen von ostdeutschen Nachwuchskommissaren ausgebildet. Inzwischen ist er mit seinen düsteren Dokumentationen zum Bestsellerautor avanciert. Die Titel sprechen für sich: Nach dem „Ekel von Rahnsdorf“ und der „Leichensache Kollbeck“ ist nun „Der Kannibale“ erschienen.

Auch hier geht es um „bizarre Vorgänge aus der DDR-Tötungskriminalität, die besonderen Schauder auslösen“, wie der Autor vollmundig ankündigt. Und tatsächlich hält nicht nur „Der Kannibale“, was er verspricht. In einem abenteuerlichen Stilgemisch aus Schulmädchenreport, Kaderakte und Groschenroman breitet Girod das alltägliche Grauen der Ostzone aus. Da werden die Kehlen von Nebenbuhlerinnen durchgeschnitten, Anhalterinnen vergewaltigt und in Kisten verpackt, Kinder bei lebendigem Leibe auf Kohlen geröstet sowie Exgattinnen zerhackt, gepökelt und verspeist. Nichts für schwache Nerven

Girod beschreibt nicht nur die Arbeit der Ermittler nach dem Verbrechen, sondern auch die Vorgeschichte und den grausamen Ablauf der Tat. Dazu gibt es grobkörnige Schwarzweißfotos von Tatorten, Tatwerkzeugen und dem, was nach dem spektakulären Schlachtfest im eigenen Heim von Bekannten und Verwandten noch übrig bleibt. Ob der sozialistische Alltag zwischen Rügen und Erzgebirge dadurch wirklich „normaler“ wird, ist allerdings fraglich. Nach der Lektüre hat man zumindest gelernt: Die DDR brauchte bei Gewaltverbrechen rein vom Handwerklichen her den Vergleich mit dem Westen nicht zu scheuen – allerdings gab es in Ostdeutschland deutlich weniger Morde als im Westen.

Die Volkspolizei, deren hohen Professionalisierungsgrad Girod lobend im Vorwort erwähnt, arbeitete zum Erreichen ihrer hoch gesteckten Ziele mit Stasi-ähnlichen Methoden. Kurz vor der Wende spitzelten über 20.000 inoffizielle Mitarbeiter exklusiv für die Kripo. Girods minutiöse Schilderung der Ermittlungsarbeiten zeigt sehr gut, wie jeder Mordfall die Sicherheitsmaschinerie unter extremen Rechtfertigungsdruck setzte. Oft schaltete sich das Ministerium des Inneren direkt in die Untersuchungen ein. Angesichts von Schwerstkriminalität, die ja nun überhaupt nicht in das Bild vom sozialistischen Paradies passte, wollte man natürlich auch bei der Aufklärung besser sein als der Westen. Kein Wunder, dass sich die Presse, abgesehen von kurzen Erfolgsmeldungen bei abgeschlossenen Ermittlungen, mit inhaltlichen Berichten sehr zurückhielt.

ANSGAR WARNER

Hans Girod: „Der Kannibale. Ungewöhnliche Todesfälle aus der DDR“. Droemer Verlag, München 2002, 302 Seiten, 7,90 €

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