: Keine Lust mehr auf Aktien
Gestern sank der DAX erstmals seit 1997 zeitweise unter 3.000 Punkte. Unternehmen und Anleger wenden sich ab von dem riskanten Geschäft: Nur sechs Börsengänge in diesem Jahr, Zahl der Aktienbesitzer sinkt erstmals seit den 90er-Jahren
von KATHARINA KOUFEN
Zum ersten Mal seit Anfang 1997 ist der DAX gestern unter 3.000 Punkte gesunken. Wenige Minuten nach Handelsbeginn fiel der Deutsche Börsenindex auf 2.984 Punkte, erholte sich dann allerdings im Laufe des Tages wieder auf knapp 3.100. Damit hat der DAX seit seinem Höchststand im Frühjahr 2000 rund zwei Drittel seines Wertes eingebüßt.
Noch tiefer ist der Absturz des Indizes am Neuen Markt: Der Nemax ist nur noch ein Zweiundzwanzigstel seines Höchststands vor zweieinhalb Jahren wert. Gestern Nachmittag lag der Index bei 396 Punkten. Das sind gerade mal noch viereinhalb Prozent des Rekordwerts von damals von über 9.000 Punkten.
An den Börsen spricht man mittlerweile von einem „Teufelskreislauf“. Die Commerzbank schreibt in ihrem wöchtentlichen Börsenbericht „die Baisse nährt die Baisse“. Die sinkenden Aktienkurse drücken auf die Stimmung. Die Leute geben weniger Geld aus und hoffen auf bessere Zeiten. Auch Unternehmer warten mit Investitionen lieber, bis die Konjunktur sich spürbar erholt. Das wird durch diese Zurückhaltung jedoch zusätzlich erschwert. Firmen gehen pleite, weil sie keine Aufträge bekommen und weil keiner ihre Waren kauft. Je mehr Firmen Insolvenz anmelden, desto zurückhaltender werden die Banken bei der Kreditvergabe – was gerade den Mittelständlern zusätzlich schadet.
Im Vergleich zum Vorjahr gewährten die Geldhäuser im vergangenen Quartal sieben Prozent weniger Kredite, in den ersten drei Monaten des Jahres waren es sogar 16 Prozent weniger.
Rund 600 Milliarden Euro sind seit dem Börsenhöhepunkt im Frühjahr 2000 „vernichtet“ worden, schätzt das Deutsche Aktieninstitut. Diese Summe ergibt sich, wenn man die Bewertung sämtlicher deutscher Unternehmen vergleicht. Damals lag sie bei 1,4 Billionen Euro, heute beträgt sie 800 Milliarden.
Für die Unternehmen ist das zwar zunächst nur ein Buchverlust, da die wenigsten Gewinne realisiert, also Aktien verkauft wurden. Doch senkt der Wertverlust die Bonität der Unternehmen. Die Folge: Sie erhalten Kredite nur noch zu höheren Zinsen. Obendrein nimmt die Börsen-Baisse vielen Firmen die Möglichkeit, sich über den Verkauf von Aktien mit Kapital zu versorgen.
Kein Wunder, dass immer weniger Firmen an die Börse wollen. Gerade mal sechs Unternehmen waren seit Jahresbeginn zu diesem Schritt bereit. 1999 waren es rund 150. Auch scheinen viele Anleger die Nase voll zu haben vom riskanten Geschäft mit den Aktien. Hatte sich der Anteil der Deutschen, die Aktien hielten, zwischen 1998 und 2001 von zehn auf zwanzig Prozent verdoppelt, ist er in diesem Jahr bereits auf 18 Prozent zurückgegangen. Dabei gehen die meisten Experten derzeit von einer „Unterbewertung“ der meisten Aktien aus. Kapitalmarkt-Referent André Wetzel vom Deutschen Aktieninstitut: „Erst sind die Kurse zu weit nach oben ausgeschlagen, jetzt schlagen sie zu weit nach unten aus.“
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