Der diskrete Charme der Exekutive

Politik geht durch den Magen, findet die Bundes-Ausländerbeauftragte Marielusie Beck – und gewinnt damit die Wahl für die Grünen. Kommt nach der Telekratie jetzt die Domokratie, die Rückbesinnung der großen Politik aufs Private? Beck will jedenfalls an der Strategie des Open-House festhalten

Marieluise Beck muss ihren Schrank in Berlin nicht räumen: Sie hat in Bremen ein Super-Wahlergebnis erkämpft und zieht wieder in den Bundestag ein. Als Ausländerbeauftragte der Bundesregierung ist sie ohnehin unumstritten und bekommt sogar einen neuen Titel.taz: Neben dem Joschka-Effekt – was hat den Ausschlag für den grünen Wahlerfolg in Bremen gegeben?Marieluise Beck: Sicherlich eine gute Vorarbeit der Fraktion. Man baut immer auch auf das Fundament, das die Kolleginnen und Kollegen gelegt haben, die ja mit großem Fleiß und hoher Intensität in viele Milieus in der Stadt hineinwirken mit ihrer Arbeit. Dazu zähle ich auch, dass es in der Stadt inzwischen eine zunehmende Ermüdung und ein Sichabwenden von der Politik der großen Koalition gibt. Es wird einfach sichtbarer, dass die Koalition sich durchschwindelt, über die Probleme hinweg. Ein großer Teil ihrer Projekte hat bedeutet, dass Geld verbuddelt worden ist, das keinen Ertrag bringt.Stimmt es, dass die Grünen für den Wahlkampf ein Drittel weniger Geld zur Verfügung hatten als 1998?Ja. Wir haben das wettgemacht, indem wir Arbeiten selbst übernommen haben, die man sonst gern professionalisiert.Parteichef Klaus Möhle soll sich den „Goldenen Quast“ verdient haben . . .Der Landesvorstand hat selbst plakatiert. Klaus Möhle hat absolut den ersten Preis gewonnen.Sie selber haben mit neuen Wahlkampfformen experimentiert . . .Ich habe ganz neue Sachen gemacht. Ich habe eine neue kleine Institution erfunden: PDGM.Und übersetzt?Politik geht durch den Magen.Das ist auch international verständlich . . .Vielleicht sollte ich mir das patentieren lassen, bevor es mir der Eckhoff klaut. Das ist entstanden, als die Grüne Jugend bei mir am Esstisch saß. Da haben wir gesagt, wir müssen andere Formen finden als die herkömmlichen Veranstaltungen, wo ja häufig die sowieso schon Überzeugten und der harte grüne Kern erscheinen. Wir müssen in neue Milieus ausgreifen, in neue Umfelder. Das hat dazu geführt, dass wir sozusagen im Schneeballsystem Einladungen an Gruppen von jeweils etwa 20 Menschen ausgesprochen haben. Die sind für einen Abend zu mir nach Hause gekommen, oft sogar für einen sehr langen Abend. Studenten, Schüler, jüdisch-christlich-palästinensischer Dialog, Politikstudenten, türkische Community, das deutsch-türkische Forum, die Kulturszene.

Und dann?

Das hat eine neue Form des politischen Dialogs ermöglicht – sehr viel diskursiver als in der Öffentlichkeit möglich und üblich; mit sehr viel mehr Offenheit auch darüber, was wir als Grüne erreicht haben oder nicht erreicht haben. Auch die Spielräume, die man real hat oder nicht hat, sind viel transparenter geworden. Meine Idee war immer, dass über diese Art der Kommunikation wieder ein positiver Resonanzboden für die Grünen in der Stadt ensteht. Der war uns ja ein wenig abhanden gekommen, weil so viele Zweifler und Kritiker in den eigenen Reihen dagewesen sind. Das nimmt einem ja auch den Glauben an sich selbst und die Kraft, weiter nach vorne zu gehen.Ist das der Wahlkampf der Zukunft, sich so fast kanzlerhaft Multiplikatoren zum intimen Plausch zu laden, statt sich am Wahlkampfstand die Beine in den Bauch zu stehen?Ich weiß es nicht. Ich bin ja auch ganz viel raus gegangen und musste mir erstaunlicherweise nicht die Beine in den Bauch stehen. Ich habe hunderte von Leuten angesprochen und es hat sich daraus ein kleines Hin und Her ergeben. Entscheidend ist, dass wir uns öffnen.Sie würden das wieder so machen?Der Tisch bleibt stehen. Nicht mit der Terminhektik wie bisher. Da würde meine Familie streiken – meine Töchter, die immer servieren mussten. Aber die Offenheit möchte ich mir erhalten.Kann das jeder Kandidat? Oder nur die Ausländerbeauftragte mit ihrem Amtsnimbus?Eigentlich kann das jeder Kandidat. Unsere Ehrenvorsitzende Christine Bernbacher hat das Modell übernommen und auch drei Abende bei sich veranstaltet – mit ganz intensiven Debatten. Die Politik ins Wohnzimmer zu holen, ist ein Rezept, das durchaus verallgemeinerbar ist.In der Partei soll es darüber nicht nur Begeisterung gegeben haben. Das Wort vom „bourgeoisen Wahlkampf“ macht die Runde.Am bourgeoisesten war es, als ich die Bremerhavener Hip-Hop-Szene bei mir zu Gast hatte . . .Aber jetzt sind die Kritiker wahrscheinlich sowieso still.Keine Ahnung. Da mache ich mir auch gerade keinen Kopf drum.Vor allem mit türkischen Gruppen haben Sie viele Treffen veranstaltet.Ja. Wir müssen unbedingt mehr auf die Einwanderer zu gehen. Da gibt es ungeheure Verletzungen und das Gefühl, in dieser Gesellschaft keine Chance zu haben.Wäre es sehr böse, zu behaupten, dass Rot-Grün sich per Einbürgerung den passenden Souverän geschaffen hat?Prozentual fällt das nicht so ins Gewicht. Wir haben jetzt pro Jahr etwa 180.000 Einbürgerungen. Nicht alle sind schon wahlberechtigt. Wir wissen auch, dass sich ihr Wahlverhalten analog zum deutschen Parteienwesen differenziert.Aber Rot-Grün kommt dabei besser weg als die anderen.Viele Migranten fühlen sich offensichtlich bei Rot-Grün besser aufgehoben. Diese Einschätzung ist ja auch durch reale Politik gedeckt.Sie haben gezielt mit türkischsprachigen Broschüren geworben. Fallen Sie damit den Integrationszielen in Schilys Zuwanderungsgesetz symbolisch in den Rücken?Das halte ich für Mumpitz. Das deutsche Wahlsystem ist so komplex und schwierig, dass man schon Mühe darauf verwenden muss, es deutschen Wählerinnen und Wählern zu erklären. Das auf türkisch zu machen, ist ein Beitrag zur Demokratie.Wer ist denn künftig für Integration zuständig – Sie oder Schily?Mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes bekomme ich einen wunderbaren neuen Titel, nämlich: „Beauftragte für Migration, Integration und Flüchtlinge“. Vorschläge, wie man das vernünftig verkürzen kann, werden dankend entgegengenommen. Integration ist da bewusst genannt, um zu verdeutlichen, dass die Integrationspolitik eine der zentralen Aufgaben ist.Bekommen Sie dafür auch einen eigenen Etat?Nein. Die Beauftragte hat nach wie vor keinen Ressorthaushalt, sondern soll querschnittsmäßig in die anderen Ressorts hineinwirken. Fragen: Jan Kahlcke