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„Der Mythos Berlin ist gekippt“

Einmal dabei sein ist auch nicht alles: Ein Gespräch über Standortmythen und das mangelnde Interesse an osteuropäischen Kulturen mit Paula Böttcher, deren Galerie zum ersten Mal auf der heute beginnenden Kunstmesse artforum vertreten ist

Interview HARALD FRICKE

taz: Frau Böttcher, fünf Jahre nach Galeriegründung sind Sie zum ersten Mal auf der Kunstmesse artforum vertreten. Ist das der Aufstieg in die 1. Liga?

Paula Böttcher: Das sehe ich nicht so. In meinem ersten Galeriejahr war ich bei der jungen Kunstmesse in Basel, das habe ich damals für den höchsten Status an Anerkennung gehalten. Danach folgten Messen in Amerika und in Köln, und mit jedem Mal wurde die Ernüchterung größer. Über das artforum freue ich mich zwar, aber ein neuer Schritt ist das nicht. Für mich zählt eher als Erfolg, dass ich mit einem Gemeinschaftsstand mit zwei osteuropäischen Galerien von der Messeleitung akzeptiert worden bin.

Ist es überhaupt wichtig, als Berlin-Galerie auch auf einer Berliner Messe vertreten zu sein?

Deshalb habe ich mich anfangs nicht beworben. Warum sollte man am selben Standort doppelte Kosten auf sich nehmen? Mittlerweile hat sich die Messe in eine sehr gute Richtung entwickelt, gerade durch den Fokus auf Osteuropa, das ist auch ein Strang, an dem ich ziehe.

Und dafür lohnt sich das finanzielle Risiko?

Man weiß doch vorher nie, ob der Aufwand sich am Ende lohnt. Deshalb kann ich auch jetzt noch nicht einmal sagen, dass ich mich nächstes Jahr wieder bewerben werde. Auf jeden Fall wollte ich einmal dabei sein.

Das reicht als Reiz einer Messe?

Da gibt es für mich gar keinen Reiz. Mir fällt es sehr schwer, mehrere Künstler in einem Raum zu zeigen, weil ich immer für eine demokratische Aufteilung bin. Deshalb habe ich am Anfang den Fehler gemacht, alle Künstler gleich präsentieren zu wollen, sodass ich zu den ersten Messen zu viele Bilder mitgenommen habe – was den Arbeiten, den Künstlern und der Galerie in zweiter Instanz gar nicht so gut getan hat. Ich wollte allen gleich gerecht werden. Erst später habe ich mir gesagt: Es ist meine Investition und meine Verantwortung, danach habe ich mich dann in Basel und zuletzt in Köln auf Einzelshows mit klaren Statements verlagert. Das schafft weniger Verkäufe, aber ich finde das ehrlicher, weil es meiner Galeriearbeit entspricht, bei der ich auch sonst oftmals schwer verkäufliche Installationen ausstelle.

Auf einer Kunstmesse geht dieser Eindruck von Einmaligkeit schnell verloren.

Ja, es ist ein Basar, auf dem alles Mögliche angeboten wird. Aber ich muss auf Messen gehen, um die Künstler zu streuen, von selbst kommt die Welt nicht zu mir in die Kleine Hamburger Straße. Sonst könnte ich allerdings sehr gut ohne Messen leben, auch ohne die innere Reibung, wen man für die Präsentation auswählt.

Auf der Art Moscow sind Sie seit drei Jahren fest gebucht. Was ist dort der Vorteil für eine Galerie aus dem Westen?

Die völlig andere Atmosphäre. Mir ist die Art Moscow am liebsten, obwohl ich dort vorletztes Jahr überhaupt zum ersten Mal etwas verkaufen konnte. Man hat kein Publikum aus potenziellen Sammlern, stattdessen gehen Leute aus allen gesellschaftlichen Bereichen in dem Gebäude ein und aus, das reicht vom Jugendlichen bis zur alten Frau. Trotzdem wird hier nicht bloß ein kultureller Event abgehakt, die Besucher fragen wirklich nach, weil es sie interessiert, was in moderner Kunst passiert.

Besonders viele Berliner Galerien scheinen sich für dieses Konzept nicht zu begeistern. Woher kommt die Berührungsangst?

Im Westen herrscht noch immer die Meinung, Moskau wäre wie Asien – das reine Chaos, da funktioniert nichts. Der Hauptgrund ist die Angst, nichts zu verkaufen, weil es außer in Ansätzen für russische Kunst keinen Markt gibt. Mehr als Erfahrungsaustausch ist da nicht drin.

Wie sieht es mit dem Rücklauf aus? Wer kommt von Russland nach Berlin?

Ich halte es ebenso für wichtig, wenn man von hier aus etwas in die sehr abgeschlossene Moskauer Kunstszene mitbringt, so etwas wie ein Erfahrungsgeschenk. Es kann nie schaden, einen Input von außen zu geben. Umgekehrt sollte es genauso sein. Der Zulauf russischer Künstler nach Berlin ist relativ groß, aber sie finden hier ausgenommen der Eigenorganistaion kaum eine Plattform. Den Künstlern ein – wenn auch kleiner – Anlaufpunkt zu sein, darin sehe ich eine meiner Aufgaben.

Hat sich nicht gerade die Messe in Berlin seit der Gründung 1996 gerühmt, eine Öffnung für den Osten darzustellen?

Die Messe engagiert sich sehr, aber es fehlt an zweierlei: am Geld und am Interesse seitens des Publikums. Berlin hält den Anspruch, Tor zum Osten zu sein, nicht ein, in keiner Form. Die Galerien, die jetzt dabei sind, können es sich leisten, weil sie nicht zwingend von junger Kunst leben, sondern nebenbei Sekundärhandel betreiben oder Unterstützung aus den jeweiligen Ländern erhalten. Aber viele der kleinen Galerien, in denen wirklich erstaunliche neue künstlerische Arbeiten entstehen, die müssen wegbleiben, weil sie diese Basis nicht haben.

Wäre Berlin nicht dennoch den Versuch wert, wenn man an die Begeisterung für Russendisko oder den Popstatus eines Schriftstellers wie Wladimir Kaminer denkt?

Das ist die Vorstellung, die man hier von Russland hat. Man sieht nur die Highlights, aber das schafft keine dauerhaften Verbindungen zum Osten. Als im Neuen Berliner Kunstverein letztes Jahr eine Ausstellung über neue slowenische Kunst stattfand, waren zur Eröffnung allerhöchstens 25 Leute da. Die nächste Eröffnung im selben Haus war Christo, da kam man nicht mehr zur Tür rein, so voll war es.

Russendisko oder Wladimir Kaminer haben in Berlin eine Ausnahmestellung, aber das gleicht eher dem temporären Verlangen nach Exotik, während der große Rest gar nicht wahrgenommen werden will. Nach drei Stunden russischer Musik hat man dann genug, dann will man nichts mehr mit dem Land und den Leuten zu tun haben.

Also hat man sich hier trotz Ausstellungen wie „After the Wall“ oder „Dawaj! Dawaj!“ letztes Jahr zu wenig mit den verschobenen Achsen beschäftigt?

„Dawaj! Dawaj!“ war zwar gut besucht, es gab aber durchweg schlechte Kritiken in den Medien. Das hängt auch mit der Lesbarkeit der Arbeiten zusammen. Hier kennt man den Kontext nicht, deshalb geht man weiter. Ein paar erklärende Worte könnten vielleicht ansatzweise helfen. Ohne weiterführende Kommentare ist russische Kunst nicht mehr als eine Entdeckung aus einem Niemandsland. Ein Künstler wie Ilya Kabakov hatte Glück, weil sich damals eine Lobby um das Verständnis seiner Kunst gekümmert hat. Ohne diese Vermittlung würde man auch heute fragen: Was soll das? Was will der mit seinem Zeug hier? Eine solche Lobby muss es wieder für die neue Generation geben, das zähle ich auch zu meinen Aufgaben. Sonst laufen die Künstler aus dem Osten immer nur weiter dem Markt im Westen hinterher.

Sehen Sie Ihre Galerie deshalb als „öffentlichen Raum“, in dem sich Künstler austauschen können?

Es geht mir nicht nur um die Verbindung von Ost und West. Der Mythos Berlin ist gekippt, weil viele hierher kamen und gedacht haben: Jetzt habe ich es geschafft. Niemand hat sich damit beschäftigt, dass er selbst den Mythos immer wieder neu erzeugen muss. Es ist zu wenig, wenn man sagt: Ich hab’ eine Galerie in Berlin, die Aufmerksamkeit wird schon von allein kommen. Das reicht nicht.

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