Vom Wahlkalkül ausgetrickst

Irgendetwas lief schief am Wahlabend. Keine Prognose war verlässlich, vor allem die favorisierten Meinungsforscher lagen daneben. Nur „Forsa“ orakelte akzeptabel und sichert sich damit vielleicht das wirtschaftliche Überleben

BERLIN taz ■ Vor vier Jahren lief alles glatt: Eine kleine Demoskopenschar am Bodensee konnte im Schatten von Gerhard Schröders Erfolg einen völlig eigenen Sieg bei den Bundestagswahlen verbuchen. Das Institut für Demoskopie in Allensbach lag ganz vorne. Kein anderer Meinungsforscher lag mit der Prognose so richtig wie das Institut und deren Geschäftsführerinnen Elisabeth Noelle-Neumann und Renate Köcher. Allensbach hatte frühzeitig erkannt, dass die Union und ihr Kanzler Kohl verlieren würden. Ergebnis: Ein geschäftsförderlicher Ruf für vier Jahre – bis zum vergangenen Wahltag.

Seit Sonntag hat sich das Bild gewandelt: Die nach eigener Aussage konservativen Demoskopen von Allensbach lagen unter den fünf relevanten Instituten mit ihrer Prognose auf dem letzten Platz. 7,2 Prozent beträgt die Summe der Abweichungen vom tatsächlichen Wahlergebnis. Besser schnitten mit je 5,2 Prozent Abweichung die beim ZDF unter Vertrag stehende Forschungsgruppe Wahlen und Emnid (n-tv) ab. Noch genauer war Infratest-Dimap (ARD) mit 4,9 Prozent. Als prophetisch erwies sich das Forsa-Institut (RTL) mit lediglich 4,2 Prozent Differenz zum vorläufigen amtlichen Ergebnis.

PDS-Debakel übersehen

Freilich ein trügerisches Ranking: Alle fünf Institute lagen mit irgendeinem Befund daneben. Allensbach hatte wenigstens einen hauchdünnen Vorsprung Schröders vorher herausgefunden, lag aber wie alle anderen in der Prognose zu FDP und Grünen gründlich daneben. Kein Institut hatte die Grünen so deutlich vor den Traditionsliberalen liegen sehen. Das deutliche Debakel der PDS wurde auch nicht prognostiziert. Alles in allem hatte kein Demoskop mit den strategisch denkenden Wählern kalkuliert: die offenkundig erstens bewusst die PDS verließen (um Stoiber nicht zu bevorzugen), zweitens den Grünen zusprachen (um so eine sozialliberale Option zu verhindern) – und drittens mit überproportional vielen Erststimmen für SPD-Kandidaten Überhangmandate ermöglichten.

Jetzt ist überall Schadensbegrenzung angesagt, denn verwirrende Prophezeiungen sind schlecht fürs Demoskopiegeschäft. Das wird zwar nicht nur mit Wahlprognosen bestritten, aber im öffentlich ausgetragenen Rennen um realitätstaugliche Prognosen entscheidet sich, wer überhaupt als akzeptabel gilt: für Kunden aus der Wirtschaft, die mit Hilfe dieser Institute neue Produkte testen.

Erklärungsversuche

Allensbach jedenfalls gibt sich überrascht. Gestern hieß es, man habe nicht erkennen können, dass die fehlende Koalitionsaussage der FDP den Westerwelle-Leuten schaden würde. Auch wird bestritten, dass man die fehlende Wechselstimmung übersehen habe. Denn entscheidend sei das Flutmanagement und das Antikriegsprofil der Regierungsparteien gewesen.

Ein Institut freilich wird mit einem besonderen Problem zu kämpfen haben: Infratest-Dimap, das für die ARD die Hochrechnungen organisiert hat. Bis kurz nach Mitternacht hat es entweder einen Unionssieg oder eine hauchdünne Mehrheit für Rot-Grün über die Bildschirme verkündet – ganz anders als ZDF (Forschungsgruppe Wahlen) und RTL (Forsa), wo nicht eine einzige Hochrechnung die Union in die Nähe eines Triumphes brachte. Im Gegenteil: Die Demoskopen hatten früh das (sozialdemokratische) Potenzial an Überhangmandaten einkalkuliert – und nie von einem lediglich kargen Vorsprung gesprochen. In der ARD gab es obendrein niemanden, der konkret genug für das mit Wahlrecht nicht vertraute TV-Volk erläutern konnte, wie es zu diesem Missverhältnis von prozentual errungenen Parlamentssitzen und Erststimmensiegen kommen könnte.

Einen Meinungsforscher-TÜV, wie von Forsa vorgeschlagen, wird es wohl dennoch nicht geben. Denn dann müssten die Institute ihre Methoden offen legen – und das wollen sie nicht. Sicher scheint jedoch auch, dass das Publikum sich von Demoskopien wenig irritieren lässt: Man wählt, was man als Regierung gerne hätte. JAN FEDDERSEN