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Crescendo, Fortissimo und Schicht

Funky, funky: Das New Yorker „Absolute Ensemble“ sucht und findet sein Heil im Beat. Dabei ist es interessanter als Stargast Paquito D‘Rivera

Ein Klangkörper, der nach vorne sprintet und sich dabei überraschend verrenkt

Wenn Saxophonist D‘Rivera den Salsa auspackt, kommt die Klarinettistin Marianne Gythfeldt ins Schwanken. Ein Lächeln breitet sich aus auf ihrem Gesicht und sie schunkelt mit dem Operkörper mit, ganz sanft von links nach rechts, selbstvergessen den Blick auf D‘Rivera geheftet. Denn der große charismatische Glatzkopf aus Kuba liefert nicht nur den Hüftschwung-Faktor an diesem Abend, er ist auch der Gaststar, einer, der seine Soli nicht nur blasen darf, sondern soll. Und der außerdem die Autorität des Papas genießt: D‘Rivera ist 54. Gythfeldt bewegt sich wie die meisten ihrer KollegInnen des „Absolute Ensembles“ an der 30-Jahre-Marke.

Sechzehn junge Leute sitzen da auf der Bühne, zum Teil in edlem Klassik-Schwarz, zum Teil im Holzfällerhemd. Eine Mulit-Kulti-Truppe aus New York, und darauf ist beispielsweise Posaunist Mike Seltzer so stolz, dass er es sich auf‘s T-Shirt schreiben muss. Sechzehn Leute, die unter rot-blauen Scheinwerfern mal auf sechzehn Notenständer schauen, mal auf eine einzige Faust, die immer wieder langsam in den Bühnenhimmel wächst und schnell nach links unten fährt: Ensemble-Leiter Kristjan Järvi mag den bombastischen Abschlag. Crescendo, Fortissimo und Schicht.

Schwer zu sagen, was da am Dienstag Abend in der Glocke für Musik zu Stande kam. Könnte Filmmusik für einen expressionistischen Stummfilm sein, in dem Shaft die Hauptrolle spielt. Denn diese E-Musik ist funky, diese Fagottisten arbeiten mit und am Beat, diese Cellisten nicken in ihren Spielpausen mit dem Kopf – Kopfnicker-Klassik. Dabei ist der Kopf ist nicht nur zum Nicken da: Das „Absolute Ensemble“ macht kompliziert arrangierte Musik, Motive reihen sich, verschachteln sich, verlieren sich wieder. Trumpf Eins ist die Polyrhythmik, Trumpf Zwei die virtuose Verteilung der Motive auf das gesamte Ensemble. Es entsteht ein Klangkörper, der hektisch nachvorne sprintet und sich dabei immer wieder überraschend verrenkt. Ein interessantes Gebilde, bei dem Steve Reich und Frank Zappa Vorarbeit geleistet haben, mehr sicherlich, als die im Programmheft annoncierten Kollegen Bach und Debussy.

Doch bei allem rhythmischen Reichtum: Das Tonmaterial bleibt konventionell. Noch konventioneller wird‘s, als Latin-Jazzer Paquito D‘Rivera das Ruder übernimmt: Das „Absolute Ensemble“ wird zur Begleit-Bigband, die sich auch mit Standards wie Dizzy Gillespies „Birks Works“ begnügen muss, um D‘Rivera sein Solisten-Forum zu bieten. Klar – D‘Rivera ist schnell und explosiv, aber so interessant wie ein ganzes Ensemble auf der Suche nach grenzüberschreitender Instrumentalmusik ist er nicht. Verschenktes Potenzial. Eine Maßnahme bestenfalls, um das Klassenziel zu erreichen: Ensemble-Leiter Kristjan Järvi hat sich nichts weniger vorgenommen, als „alle Arten von Musik“ für „jedes Publikum“ auf die Bühne zu bringen.

Und weil alle im Boot sitzen, weil alle beteiligt sind und das auch merken sollen, wird mitgeklatscht an diesem Abend: Kristjan Järvi macht vor, das Publikum macht mit. Die Grenzen zwischen E- und U-Musik sind verschwunden, es bleibt ein sanftes Schunkeln. Ein Schunkeln allerdings, bei dem die Mitglieder des „Absolute Ensembles“ nie vergessen, sich gegenseitig genau zuzuhören. Und ihre Faszination – ob als Klangkörper oder als Begleit-Bigband – dem Publikum zu vermitteln.

Klaus Irler

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