: Noch gilt Körtings Wort
Geht es nach Innenminister Schily, sollen serbische Roma bald abgeschoben werden. Eine Delegation besucht heute das Abgeordnetenhaus. Sie hofft, dass sich Berlin für ein Bleiberecht einsetzt
von HEIKE KLEFFNER
Mit einem Besuch im Abgeordnetenhaus will heute eine Delegation von Roma aus dem früheren Jugoslawien ihrer Forderung nach einem Bleiberecht in Berlin Nachdruck verleihen. Anlass für den ungewöhnlichen Parlamentsbesuch: Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen verlangt von Innensenator Erhart Körting (SPD), die Landesregierung soll sich bei der nächsten Innenministerkonferenz der Länder im November für eine bundeseinheitliche Regelung zugunsten der im ehemaligen Jugoslawien nach wie vor diskriminierten Minderheit einsetzen. „Gerade Berlin muss angesichts des Verfolgungsschicksals der Roma im Nationalsozialismus Verantwortung übernehmen und eine Vorreiterrolle in der Frage des Bleiberechts einnehmen“, sagt Volker Ratzmann, Vizefraktionschef der Grünen.
Vertreter von Flüchtlingsorganisationen kritisieren, dass sich die Situation von rund ein- bis zweitausend Roma in der Hauptstadt seit der Unterzeichnung eines neuen „Rückführungsabkommens“ zwischen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und dem jugoslawischen Innenminister Zoran Zivkovicin am 16. September dieses Jahres erheblich verschlechtert hat. Der Abschiebevertrag soll am 1. November in Kraft treten und stellt nach Schilys Ansicht „einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung illegaler Migration aus der Balkanregion dar“.
Setzt sich diese Rechtsauffassung durch, wären rund 50.000 so genannte „ausreisepflichtige“ Flüchtlinge aus Serbien und Montenegro zum Winteranfang von der Abschiebung bedroht. „Unter den in Berlin lebenden Roma aus Serbien macht sich Panik breit“, sagt Renate Wilson von der PDS-Flüchtlingsberatungsstelle. „Familien schicken ihre Kinder nicht mehr in die Schule. Ältere Menschen und Traumatisierte haben schlicht Angst.“ Renate Wilson und der Berliner Flüchtlingsrat fügen hinzu, Innensenator Erhart Körting (SPD) habe schon im Juli zugesichert, sich für die Roma einzusetzen. Doch die Ausländerbehörde unterlaufe diese Bemühungen systematisch. „Der Innensenator könnte zumindest eine Weisung erlassen, dass bis zum 1. November keiner der Betroffenen aus Berlin abgeschoben wird.“ Dann tagt die Innenministerkonferenz, um erneut über das Schicksal der Roma zu beraten. „Und wenn sich die Innenminister der Länder nicht auf eine einheitliche Regelung einigen können, muss der Berliner Senat eben eine Altfallregelung für Roma erlassen“, meint Wilson. Einige der Familien, die jetzt die Beratungsstellen um Hilfe bitten, leben schon seit einem Jahrzehnt in Berlin. Sie waren Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre vor der zunehmenden Brutalität der serbischen Armee nach Deutschland geflohen.
Dass auch Willensbekundungen des Innensenators nicht immer ausreichen, um Abschiebungen Betroffener zu verhindern, musste das Roma-Projekt der Regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen Berlin (RAA) erfahren. In dem Projekt sollen 25 Roma-Flüchtlingen und 25 Roma und Sinti deutscher Staatsangehörigkeit berufliche Qualifizierungsmöglichkeiten angeboten werden. Zum Beispiel als interkulturelle Moderatoren an Schulen, als Medienschaffende in der Kinder- und Jugendarbeit und als selbstständige Recyclingunternehmer. Eine Finanzierung gibt es auch schon, doch noch vor Projektbeginn am 1. Oktober wurde einer der Teilnehmer nach ins ehemalige Jugoslawien abgeschoben.
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