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Von Körnern und Pixeln

Die Digitalisierung des Kinos schreitet voran, gleich ob beim Drehen eines Filmes oder bei dessen Postproduktion. Aber wer rüstet die Kinos mit den kostspieligen digitalen Projektoren aus? Und wo bleibt die Aura des Bildes? Eine Bestandsaufnahme

Kritiker fürchten eine visuelle Verarmung wie nach dem Ende der Stummfilmära

von THOMAS WINKLER

Als die Revolution ins Kino kam, nannte sie sich „Episode II: Der Angriff der Klonkrieger“ und hinterließ einen visuell eher schwammigen Eindruck. Denn als Star-Wars-Mastermind George Lucas den fünften Teil seines Sci-Fi-Opus anging, setzte er voraus, dass bis zum Kinostart alle Teilbereiche der Filmproduktion digitalisiert sein würden – vom Dreh über die Postproduktion bis zur Projektion. Aber wie das so geht mit Visionen, dauert es mitunter, bis sie Wirklichkeit werden. So drehte Lucas mit digitalen 24 p-Kameras von Sony, schnitt und manipulierte das Material im Computer, aber Kinosäle, in denen „Episode II“ digital gezeigt werden könnte, gibt es bis heute weltweit nur etwa einhundert Stück. Zurück kopiert auf Zelluloid wirkte „Episode II“ nicht nur inhaltlich flachbrüstig.

Dabei, und darin sind sich die Experten einig, hat die Technik in den letzten Jahren solche Fortschritte gemacht, dass mittlerweile selbst die digitale Projektion ohne wirkliche Qualitätsverluste realisierbar geworden ist. „Die große Masse der Kinobesucher sieht jetzt schon keinen Unterschied“, sagt Holger Schwärzel, der als technischer Produktmanager bei Kodak arbeitet, dem Marktführer für Filmmaterial. Momentan werden etwa 2.000 Pixel in der horizontalen Auflösung erreicht, nur halb so viel wie bei einem Filmnegativ, aber ebenso viele wie bei einem projizierten Filmpositiv. In der Entwicklung und für die Zukunft als Standard vorgesehen ist die doppelte Anzahl an Bildpunkten.

Beim Dreh hat die alte Technik noch einige Vorteile: Verschiedene Filmempfindlichkeiten bieten mehr Gestaltungsmöglichkeiten, die Hell-Dunkel-Abstufungen sind weiter ausdifferenziert. Zudem sind Filmkameras robuster als die auf Wärmeschwankungen und Feuchtigkeit mitunter empfindlich reagierende digitale Konkurrenz. Und für Highspeed-Aufnahmen lassen sich auf Film notfalls 4.000 Bilder pro Sekunde belichten. Perspektivisch aber steht der 35-mm-Film auf verlorenem Posten: Digitale Kameras sind leichter handhabbar, und vor allem kostet das Material nur einen Bruchteil im Vergleich zum Film. Der Regisseur kann also so viel drehen, wie er will. Die neue Technik bietet mithin auch kleinen, unabhängigen Produzenten ungeahnte Möglichkeiten, die im Dokumentarbereich oder von der Dogma-Bewegung bereits weidlich genutzt werden. Beim Independent Film Market in New York war ungefähr die Hälfte aller Filme mit Digitalkameras gedreht.

So steht der letzten Etappe zur vollständigen Durchdigitalisierung der gesamten Verwertungskette nur mehr eines im Wege: das Geld. Ein digitaler Kinoprojektor der neuesten Generation kostet bis zu 500.000 Euro. Die Technik ist teuer und anfällig, weil Millionen kleinster Spiegel aus Aluminiumfolie koordiniert werden müssen, drei für jeden Bildpunkt auf der Leinwand für die Grundfarben rot, blau und grün. Noch ist nicht abzusehen, wann die Projektoren wirklich billig genug sein werden, um eine vollständige Umstellung der weltweit geschätzten 105.000 Leinwände möglich zu machen. Die Kosten dafür werden momentan auf rund 50 Milliarden Euro angesetzt.

Noch nicht einmal im Ansatz ist geklärt, wer diese gewaltigen Investitionen tragen wird. Die Kinos selbst? Das könnten sich nicht einmal die Betreiber der großen Multiplexe leisten, geschweige denn kleine, unabhängige Kinos. Die Verleiher? Die graben sich mit der neuen Technik selbst den Umsatz ab, weil zumindest ein Teil ihres Geschäfts, der Vertrieb der Filmkopien, überflüssig wird. Die Filmproduzenten? Wenn die großen Hollywood-Studios und ihre Besitzer, meist multinationale Unterhaltungs- oder Mischkonzerne, die Umstellung finanzieren, könnte der Zugang zu den Kinos für unabhängige Produzenten und deren Filme noch problematischer werden, als er es ohnehin schon ist. „Es könnte sein, dass wir an die Wand geknallt werden“, befürchtet Egon Nieser, der Verleihchef der Edition Salzgeber, die zuletzt vor allem durch die Dogma-Filme auf sich aufmerksam machte. „Sicherlich wird es Bestrebungen geben, einer weiteren Monopolisierung Einhalt zu bieten. Aber ob wir die Mittel haben, uns dagegen zu wehren, das wage ich zu bezweifeln. Wir sind ja heute schon an den Rand gedrängt.“

Trotzdem ist man sich überall in der Branche einig, dass die digitale Revolution irgendwann abgeschlossen sein wird. Nur wann, darüber gehen die Prognosen weit auseinander. „Die Komplettumstellung wird in den nächsten zehn Jahren erfolgen“, sagt Joachim Polzer, Herausgeber des Jahrbuchs „Weltwunder der Kinematographie“, „vorausgesetzt die weltwirtschaftliche Lage bleibt stabil.“ Andere Schätzungen gehen von fünf bis zwanzig Jahren aus.

Wann auch immer: Die neue Technik wird kommen, denn ihre Vorteile sind immens. 60 Millionen Kilometer Filmmaterial wurden für die Kopien von „Episode II“ belichtet. Jede Kopie kostet 5.000 Euro und ist nach zwei Wochen Einsatzzeit verschlissen. In der digitalen Zukunft wird stattdessen ein vergleichsweise handlicher Stapel CD-ROMs, DVDs oder ähnlicher Datenträger transportiert, oder der Film wird gleich über Satellit oder Internet ins Kino übertragen. Die Industrie rechnet allein in den USA mit möglichen Einsparungen von jährlich 500 Millionen Dollar. Zudem müssten sich Filmvorführer und Zuschauer nicht mehr über verkratzte oder verstümmelte Kopien ärgern. Für die Kinos wäre ein Zugriff auf den aktuellen Blockbuster ebenso problemlos wie der auf den thailändischen Autorenfilm in der Originalfassung mit finnischen Untertiteln. Werbeblöcke könnten ohne großen Aufwand individualisiert werden, in der Nachmittagsvorstellung wird für Schokolade geworben, abends für Zigaretten. Schließlich könnte der in den letzten Jahren durch die Multiplex-Kultur immer wichtiger gewordene Event-Charakter des Kinos verstärkt werden: Liveveranstaltungen wie Fußballspiele oder Konzerte lassen sich ohne Schwierigkeit übertragen.

Die allgemeine Verfügbarkeit könnte in letzter Konsequenz allerdings auch die Vielfalt bedrohen. Fortan wäre es zumindest denkbar, dass auf allen Leinwänden weltweit zeitgleich derselbe Film läuft. Dass die Unterhaltungskonzerne die technische Revolution dazu nutzen, ihre bereits marktbeherrschende Situation weiter auszubauen, ist nicht nur eine Gefahr, sondern bereits Realität. Im Frühjahr haben die sieben großen Hollywood-Studios Verhandlungen aufgenommen, in der die zukünftigen Standards abgeklopft werden sollen. „Filme haben nicht mehr die Möglichkeit zu wachsen, weil sie schon jetzt zu schnell ausgewertet werden“, sagt Arne Schmidt, Pressesprecher des deutschen Kino-Marktführers Cinemaxx. „Das ist ein Problem, das die Branche vor sich herschiebt.“ Werden die Umlaufzeiten noch schneller, könnte sich das Geschäft noch mehr auf einzelne Blockbuster konzentrieren. Schon jetzt kommen viele Filme erst gar nicht mehr in die Kinos. Ein Zustand, der sich aber auch zum Positiven ändern könnte, denn kleine Filme, für die sich ein flächendeckender Start nicht lohnen würde, wären nun individuell und leichter verfügbar. Außerdem akzeptiert das Publikum, dass Filme von den ästhetischen Normen abweichen, die Hollywood setzt. Das beweist der Erfolg von „The Blair Witch Project“ oder der der Dogma-Filme.

Die Revolution ist also da. Es ist nur noch nicht klar, wer an die Wand gestellt wird. Die wirtschaftlichen Auswirkungen werden womöglich nicht zu übersehen sein, aber die visuellen? Der kleinsten Einheit des Zelluloidbildes, dem Silberhalogenidkorn, entspricht nun das Pixel. Oder doch nicht? „Das Filmbild hat eine Aura, eine Lebendigkeit, während das elektronische Bild kalt wirkt“, sagt Ulrich Gregor. Sein Eindruck mag subjektiv sein, aber er hat Gründe: Wenn sich auf der Leinwand nichts bewegt, dann verändert sich auch das digitale Bild nicht. Doch durch die fotochemische Struktur des Materials – kein Silberteilchen ist exakt so wie ein anderes – sind zwei Filmbilder niemals wirklich deckungsgleich. So gesehen lebt der Film.

Gregor, bis letztes Jahr Leiter des Forums des jungen Films der Berlinale und als Gründer und einer der Vorsitzenden der Freunde der Deutschen Kinemathek einer der wichtigsten Filmarchivare der Republik, begrüßt zwar durchaus die Vorteile, die eine Digitalisierung für die Filmbibliotheken hat. Vor allem eine Datenbank, über die, wenn die Datenübertragung erst schnell genug ist, weltweit jederzeit auf jeden jemals gedrehten Film der Filmgeschichte zugegriffen werden kann, hält Gregor für „sehr interessant“. Aber er hat auch Einwände: Zwar würde eine digitale Lagerung den bei Fimmaterial unaufhaltsamen Zerfall der Farben nicht kennen, aber „noch gibt es keine verlässlichen Aussagen darüber, ob sich die Datenträger nicht auch irgendwann zersetzen“. Zudem befürchtet er eine „visuelle Verarmung“, wie sie mit dem Ende des Stummfilms einherging. Die digitale Technik führe „zu Disziplinlosigkeit beim Drehen und zu einem Verlust an Bildkultur“.

Wim Wenders dagegen, von jeher ein Regisseur, der technischen Innovationen gegenüber aufgeschlossen ist, ließ verlauten, er hoffe auf „ungeahnte kreative Möglichkeiten, denn das digitale Kino kann alles, was Film konnte. Nur mehr.“ Die Wirklichkeit sieht momentan so aus: Das unabhängige Berliner Kino Central wird im Oktober „Too Funky For You“ zeigen, den ersten vollkommen digital und ohne Schauspieler gedrehten Porno. Noch eine Revolution, auch wenn dieser nicht wie „Episode II“ Millionen von Augenzeugen beiwohnen werden.

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