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Mit Wurm und Senf

Auf Gut Ritzerau wird von konventionellem auf ökologischen Anbau umgestellt. Wissenschaftler erforschen neben den Auswirkungen auf Boden, Tier-und Planzenwelt auch die Wirtschaftlichkeit

Um das Projekt zu sichern, will Gutsbesitzer Günther Fielmann eine Stiftung einrichten

von LENA EKELUND

Die Worte von Günther Fielmann klingen fast beschwörend: „Ich bin auf dem Lande groß geworden. Wir lebten mit den Jahreszeiten. Mit Saat und Ernte“, sagt er beim Pressegespräch zum Forschungsprojekt Ritzerau an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Tatsächlich liegt Gut Ritzerau im Kreis Herzogtum-Lauenburg bei Lübeck da, wie hergezaubert. Es ist erwartungsvoll-still und ein bisschen neblig. Vom „Gurren der Hühner im Hof“ allerdings, das den Unternehmer so sehr an seine Kindheit erinnert, ist hier nichts zu hören. Auf Ritzerau werden Feldfrüchte und Getreidesorten angebaut, aber es gibt keine Tiere.

Natürlich hat Fielmann Ritzerau nicht heraufbeschworen. Er hat das 250 Hektar große und bis dato konventionell bewirtschaftete Gut 1999 von der Stadt Lübeck erworben, um endlich „wissenschaftliche Gewissheit über meine eigene Überzeugung“ zu erlangen, nämlich die, dass sich Öko-Anbau auch wirtschaftlich lohnt. Während der etappenweisen Umstellung sollen rund 20 Wissenschaftler der Universität Kiel die Auswirkungen auf Wasser, Boden, Tier- und Pflanzenwelt erforschen.

Zwei Jahre lang untersuchten sie zunächst den Status quo. Nach der Bestandsaufnahme wurde im vergangenen Jahr mit der ökologischen Bewirtschaftung begonnen. Dabei wird darauf geachtet, dass jeweils eine konventionell und eine ökologisch bebaute Fläche mit ähnlichen Rahmenbedingungen vorhanden sind, um unmittelbar vergleichen zu können. Auf vier Jahre der Umstellung soll dann eine auf mindestens zehn Jahre angelegte Phase des „Monitoring“ folgen. Das Projekt ist zeitlich unbegrenzt und in seiner Langfristigkeit einzigartig in Deutschland. Um das Bestehen unabhängig von seiner Person zu garantieren, plant Fielmann, eine Stiftung einzurichten.

Im Gegensatz zu den umgepflügten konventionellen Flächen sind die ökologischen bewachsen. „Hier haben wir Senf als Zwischenfrucht ausgesät“, erklärt der Biologe Stephan Gürlich, der das Projekt im Auftrag von Fielmann betreut. „Senf fungiert als Bodendecker und hält gleichzeitig den Stickstoff oben.“ „Bicropping“ heißt dieses pflanzenbauliche Verfahren: Herkömmliche Fruchtfolgesysteme werden durch den Anbau von Zwischenfrüchten oder Samenmischungen verbessert.

Auf Ritzerau wird mit einer Klee-Ackerkraut-Mischung experimentiert. „Wir pflügen den Acker nicht um, sondern säen das Getreide direkt in die Kleebestände“, sagt Betriebsleiter Martin Natmeßnig. Klee ist wie Senf ein Stickstoffbinder und schützt durch Verwurzelung des Bodens gleichzeitig vor Erosion. Ob das klappt, wird sich zeigen, sagt Gürlich. „Vielleicht siedeln sich Mäuse an, oder die Wildkräuter überwuchern alles. Dann müßte vielleicht alle fünf Jahre mal gepflügt werden.“ Am Rand der Felder bleibt dabei immer ein ungepflügter Saum als wichtiges Rückzugsgebiet für Nützlinge.

Für die Umsetzung des Bodens sorgt allerdings noch ein weiterer Faktor, der im Forschungsprojekt auch gesondert betrachtet wird: der Regenwurm. 27 Lastwagenladungen Boden mischen die glibschigen Kriecher pro Jahr auf Ritzerau auf. Ob sich ihre Leistung noch verbessert, wird sich in den nächsten Jahren herausstellen.

Aus den kahlen Äckern ragen hier und da weiße Stangen, Markierungen für Lars Schröters Käferfallen. Schröter ist Doktorand der Uni Kiel und unterwegs, um die Ausbeute zu sichten. 180 Fallen hat er auf dem Gelände aufgestellt. Er prüft die Vielfalt der Arten und die Dichte der Individuen und wird untersuchen, ob sich in den nächsten Jahren weitere Arten dazugesellen. Die Jahrzehnte konventionellen Anbaus mit Insektiziden haben das Angebot ziemlich reduziert. 13 Arten findet Schröter noch, es könnten 20 oder mehr sein, alles Nutztiere, weil sie natürliche Feinde der Blattlaus sind.

Im Sommer leben einige der am Forschungsprojekt beteiligten Studenten und Doktoranden auf Ritzerau. Das Gutshaus verfügt unten über mehrere große Aufenthalts- und Arbeitsräume, hell, schlicht und spärlich möbliert im Shakerstil, oben sind Schlafräume. Ab und zu kommen Bauern vorbei, um sich umzuschauen. „Die sind hin- und hergerissen“, sagt Gürlich, „vor allem die Älteren, die die Landwirtschaft noch aus der Zeit vor der Flurbegradigung kennen. Sie müssen heute unter bestimmten Rahmenbedingungen anbauen und erzählen trotzdem gern, wie schön früher alles war. Manche werden ganz nostalgisch, wenn sie Ritzerau sehen.“ Martin Natmeßnig hat gerade unter den älteren Semestern allerdings auch andere erlebt. „Die sagen dann, ‚das haben wir 40 Jahre so gemacht, warum sollten wir‘s jetzt anders machen?‘“

Draußen auf dem Acker beäugt Lars Schröter das Marmeladenglas in seiner Hand. Ein paar Käfer sind drin und eine Nacktschnecke. „Man kann mit seinen Millionen jedenfalls viel mehr Schwachsinn machen“, sagt er. Und das klingt ziemlich anerkennend.

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