: Wer nicht mitmacht, ist unten durch
„Tabuzone“ heißt eine Plakatausstellung in der Helene-Nathan-Bibliothek. Werbeagenturen haben sich dabei des Themas Vergewaltigung angenommen. Öffentlichkeitsarbeit in diesem Bereich ist A und O. Es geht um die Enttabuisierung von Gewalt
von WALTRAUD SCHWAB
Weiße Schrift auf rotem Grund: „Kein Plakat der Welt kann eine Vergewaltigung verhindern“, ist zu lesen. Und darunter: „Du schon“. Es ist das schlichteste Poster einer 20-teiligen Reihe, die von Designagenturen in Trier zum Thema „Vergewaltigung“ entwickelt wurde. An Eindringlichkeit fehlt es ihm dennoch nicht: Rot – die Signalfarbe, Rot – Achtung!
Die Wanderausstellung ist zum ersten Mal in Berlin zu sehen. Mit den Plakaten haben Unternehmen in Trier den Notruf für vergewaltigte Frauen unterstützt. Nichts sei wichtiger, als „das Schweigen zu brechen“. Denn Vergewaltigung sei bis heute trotz großer Aufklärungskampagnen und Veränderungen der Gesetzgebung ein Tabu, erklären Vertreterinnen, die im Antigewaltbereich aktiv sind.
Nicht im dunklen Tunnel und in der abgeschiedenen Ecke des Parkes finden die meisten Vergewaltigungen statt, sondern in den Schlafzimmern. Bei drei von vier sexuellen Übergriffen kennen die Opfer den Täter. Deshalb wird die zwischenmenschliche Kampfzone Sex auf der Mehrzahl der Plakate in den Vordergrund gerückt. Aus großer Verliebtheit kann leicht ein bisschen Hab-dich-nicht-so, etwas Das-gehört-dazu, viel Ich-hab-ein-Recht-darauf werden. Der Begriff „eheliche Pflicht“ ist im heutigen Sprachgebrauch zur Pervertierung eines Vertragsverhältnisses geworden.
Die Verliererseite des Kinderspieles „Verliebt-verlobt-verheiratet“ wird den Mädchen gern vorenthalten. Sie lautet: „Beschimpft-geschlagen-vergewaltigt“. In diesem Sinne haben die Designer das Gänseblümchenspiel „Er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt mich …“, auf das Karussell im Kopf einer Frau übertragen, das sich nun um die Frage dreht: „Er schlägt mich, er schlägt mich nicht …“
Vergewaltigung ist eine der Erfahrungen, von denen sicher gesagt werden kann, dass eine Frau sie anders erlebt als ein Mann. Denn in der Regel ist die Rollenverteilung bei einem sexuellen Gewaltakt eine Geschlechterfrage. In den meisten bekannt gewordenen Fällen ist das Opfer weiblich, der Täter männlich. Nach Zahlen des Kriminologischen Forschungsinstituts von 1992 wird jede 7. Frau in ihrem Leben mindestens einmal Opfer einer Vergewaltigung. Neuere Erhebungen gehen von jeder 5. Frau aus. Die Folgen können Betroffene lebenslang begleiten.
Um den Moment, in dem der Akt zum Gewaltakt wird, zu vermeiden, bedarf es selbstbewusster Frauen und sensibler Männer. Eine Frage der Erziehung? „Auch“, sagen die Mitarbeiterinnen aus dem Antigewaltbereich. Sicher seien Mütter daran beteiligt, dass ihre Töchter nicht selbstbewusster als sie selbst sind, wenn es um die Enttabuiisierung der Gewalt von Männern, Vätern, Onkel geht. „In erster Linie ist Aufklärung wichtig.“ Frauen müssen kapieren, dass es nicht ihre Schuld ist, wenn Männer gewalttätig werden.“ Wohl aber trügen sie Mitverantwortung, wenn ihre Söhne es werden.
„Lara“, der Verein gegen sexuelle Gewalt an Frauen, hat die Ausstellung nach Berlin gebracht. Gesucht wurde ein Ort in der Stadt mit viel Publikumsverkehr. Automobilforum, Flughafen Tempelhof, Ostbahnhof und Krankenhäuser wurden angefragt. Bei einigen zog sich die Entscheidung zu lange hin, andere lehnten ab. „Frauenthemen passen nicht ins Konzept.“
Nun sind die Plakate in der Stadtbibliothek Neukölln zu sehen. Dass sie den Nerv treffen, zeigt eine Eintragung im Gästebuch: „Die Ausstellung ist altbacken. Sexualität ist doch heute das Höchste – ist in. Wer da nicht mitmacht, ist doch unten durch“, schreibt eine Besucherin.
„Tabuzone“, bis 5. 10. in der Helene-Nathan-Bilbiothek im Forum Neukölln, Karl-Marx-Str. 66
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