: „... und ich bin die Vorsitzende“
Interview ROBIN ALEXANDER
taz: Frau Lötzsch, Sie sind neu im Bundestag und eine von nur zwei verbliebenen PDS-Abgeordneten. Deutschland muss Sie kennen lernen. Wie spricht man Ihren Namen aus?
Gesine Lötzsch: Ein langes ö. Obwohl das aus der Schreibung nicht hervorgeht. Drei Phoneme und sieben Grapheme, da vermutet natürlich jeder einen kurzen Vokal. Aber das ö muss lang gesprochen werden.
Die Endung tzsch klingt sächsisch.
Ich bin gebürtige Berlinerin. Diesen Namen erwarb ich durch Heirat. Er ist ein wirkliches Hindernis im politischen Geschäft. Petra Pau oder Gregor Gysi – solche Namen merkt sich jeder. Aber Lötzsch?
Ihr Vorname klingt nach Küste.
Ja, Gesine ist ein norddeutscher Name. Meine Eltern haben sich aufgrund einer Erzählung von Theodor Storm für diesen Namen entschieden.
Gesine Lötzsch – schon Ihr Name umfasst das Gebiet der DDR von Nord bis Süd. Und all die Menschen zwischen Rügen und dem Erzgebirge wollen Sie jetzt auch im Bundestag repräsentieren.
Ich werde mich nach Kräften bemühen. Wir von der PDS müssen uns fragen, warum wir im Osten so viele Wähler verloren haben. Und die Antwort auf diese Frage wird kaum lauten: Wir konzentrieren uns auf den Westen. Wir müssen zuerst unsere früheren Stammwähler zurückgewinnen. Von diesem Sockel können wir dann in den Westen gucken – anders kann es nicht gehen.
In den letzten Jahren hat die PDS deutlich nach Westen geguckt.
Nicht nur in den letzten Jahren, sondern von Anfang an guckten wir nach Westen. Damals haben wir viele Fehler gemacht. Wir sind 1990 geradezu überrannt worden von seltsamen Mini-Parteien aus dem Westen. Die hatten die Vorstellung, sie könnten sich fifty-fifty mit uns vereinigen, möglichst alle Führungspositionen übernehmen und unsere Infrastruktur. Das abzuwehren war ein harter Kampf, der uns viel Zeit gekostet hat.
War es ein Fehler, alle Hoffnung in die Westausdehnung zu setzen?
Uns ist in manchen Fragen die Balance verloren gegangen. Einige der Wähler hatten das Gefühl, es geht der PDS vor allem darum, neue Stimmen im Westen zu gewinnen. Die alten Oststimmen schienen nicht so schick. Auch deshalb sind viele ehemalige Stammwähler zu Nichtwählern geworden.
Wer ist ostdeutsch? Alle, die die DDR noch selbst erlebt haben?
Die SED-Führung versuchte, die DDR-Bürger als eigene Nation zu definieren. Das hat nie geklappt. Vieles, was sich an ostdeutscher Identität ausgebildet hat, entstand erst nach der DDR. Meine Kinder sind um die zwanzig und sie beziehen sich stärker auf den Osten als die Älteren. Erfahrungen übertragen sich über die Generationen hinweg.
Sie haben gleich drei ostdeutsche Generationen zu Hause.
Ja. Mein Mann ist erheblich älter als ich. Er saß übrigens Ende der Fünfzigerjahre zusammen mit der Gruppe Loest – weil er meinte, Ulbricht müsse zurücktreten – in Bautzen im Knast. Im Intelligenzheim, wie die Insassen so schön sagten. Heute ist er Mitglied der PDS.
Ist er einverstanden mit Ihrer Politik?
(lacht) Nee, mein Mann ist bekennender Separatist.
Wie bitte?
Mein Mann möchte dem Osten wieder Selbstständigkeit geben. Ich sage ihm dann immer, das ist ökonomisch nicht machbar. Wir haben zu Hause wirklich spannende Diskussionen.
Sie sind im Jahr des Mauerbaus geboren.
Sogar im Monat des Mauerbaus. Sechs Tage vorher. Dafür kann man mich also nicht verantwortlich machen.
Die PDS hat sich für den Mauerbau entschuldigt. Ein Fehler?
Ist das als Entschuldigung rübergekommen? Dann war es tatsächlich ein Fehler. Es geht nicht um Entschuldigungen, sondern um Auseinandersetzung mit der Geschichte. Diese Entschuldigungen haben viele PDS-Stammwähler als persönliche Verletzung empfunden. Die Geschichtsdebatte wird gegen uns instumentalisiert.
Sie machen auch Geschichtspolitik: In den rot-roten Koalitionsverhandlungen setzte Gesine Lötzsch durch, dass der erste sowjetische Stadtkommandant Berlins wieder Ehrenbürger wird.
Bersarin hat viel für Berlin getan – für ganz Berlin. Nikolai Bersarin wurde 1992 ohne viel Federlesens von der Ehrenbürgerliste gestrichen. Es gab in Berlin eine Menge von Geschichtsklitterei und Verleumdung gegen ihn. Aber 2000 fasste das Abgeordnetenhaus den Beschluss, ihn wieder in die Ehrenbürgerrechte einzusetzen. Der Regierende Bürgermeister Diepgen weigerte sich, das umzusetzen. Ich habe nur die Umsetzung eines Parlamentsbeschlusses eingefordert.
In der DDR gab es nicht nur politische, sondern auch architektonische Gewalt. Wann entschuldigt sich die PDS für den Plattenbaubezirk Lichtenberg?
Diese Frage ist eine Frechheit! Lichtenberg ist ein sehr alter Bezirk mit einem einhunderjährigen Rathaus, einer sehr unterschiedlichen Struktur und – in der Tat – auch vielen Großsiedlungen. So heißen Plattenbauten nämlich wirklich. Die völlig irrationale Idee, diese abzureißen, ist ja zum Glück vom Tisch. Die Wohnungen in den Großsiedlungen sind hier im Bezirk sehr beliebt. Die Lichtenberger Großsiedlungen sind ein architekturhistorisches Denkmal mit großen Innenhöfen und Grünanlagen.
Sie wohnen selbst auch in der Platte, pardon: in der Großsiedlung?
Ja, aber erst seit 1993. Vorher wohnte ich im Altbau. Aber ich wollte, dass meine beiden Kinder jedes ein eigenes Zimmer bekommen. Ich bin sehr zufrieden, das Wohnen hier ist sehr bequem und praktisch.
Lichtenberg ist der größte PDS-Kreisverband, den es gibt …
… und ich bin die Vorsitzende.
Schaffen die Wohnverhältnisse sozialistisches Bewusstsein?
Nein. Gerade viele, die sich ein Eigenheim bauen, sind PDS-Wähler. Die Wohnbevölkerung verändert sich. In meinem Block wohnen jetzt viele Russlanddeutsche. Die wählen deshalb nicht gleich PDS.
(Das Gespräch wird durch ein Klopfen unterbrochen. Ein älteres Ehepaar tritt ein. Der Mann fragt: „Gibt es hier die Tierpark-Listen? Wir möchten unterschreiben.“)
(Lötzsch erklärend) Der Tierpark Friedrichsfelde gehört zu Lichtenberg. Es gibt eine besondere Identifikation damit, weil er durch ehrenamtliche Arbeit und durch Spenden aufgebaut wurde. An den Käfigen hängen Schilder: „Brigade x hat hier y Stunden gearbeitet“ oder „Brigade x hat das Tigerbaby finanziert“. Was den Tierpark angeht, sind die Leute hier sehr empfindlich.
Warum sammeln Sie jetzt Unterschriften?
Drei Tage vor der Wahl wurde in Berlin eine Liste mit angeblichen Einsparvorschlägen des rot-roten Senats lanciert. Alles ging gegen den Osten und vor allem gegen die Symbole des Ostens. Auf dieser Liste stand auch der Tierpark.
Sie beschreiben gerade das Dilemma der PDS in Regierungsverantwortung.
Genau: Die Leute erwarten, dass wir uns laut und deutlich gegen so etwas stellen. Auch als Koalitionspartner. Die Auseinandersetzung läuft zwischen SPD und PDS. Die versuchen, uns zu stutzen, indem sie angreifen, was unser Image ausmacht.
Sie gelten als Ziehkind der DDR-Ökonomin Christa Luft.
Ich bin zu erwachsen, um als Ziehkind durchzugehen. Aber ich habe von meiner Freundin Christa Luft viel gelernt.
Was kann eine junge Frau von Christa Luft lernen?
Bei aller bundespolitischen Präsenz und Bedeutung immer bodenständig zu bleiben. Das haben nicht alle unsere Bundestagsabgeordneten geschafft.
Ist Bodenständigkeit das Rezept für die PDS, um aus der Krise zu kommen?
Ja. Man muss die Balance halten. Ich habe Europa- und Medienpolitik gemacht. Vor meiner Dissertation habe ich ein Forschungssemester in Leiden verbracht. Ich war daran beteiligt, für die PDS internationale Kontakte zu pflegen und habe regelmäßig mit US-Offizieren im Abgeordnetenhaus diskutiert. Aber ich habe mich zuerst immer um mein Lichtenberg gekümmert.
Nun müssen Sie im Bundestag fast allein die PDS repräsentieren. Um ein Haar wäre Ihre Stimme sogar entscheidend für eine Regierungsmehrheit geworden.
Ja. Wäre das Ergebnis so knapp geblieben, wie es ein paar Stunden aussah, wäre ganz sicher jemand auf uns zugekommen.
Sie haben schon mit dem Anruf des Kanzlers gerechnet?
Der hätte bestimmt erst jemanden vorgeschickt. Vielleicht hätte sein Jugendfreund Klaus-Uwe Benneter, ein Sozialdemokrat, den ich aus dem Abgeordnetenhaus kenne, mich dann beiseite genommen: „Hör mal, der Gerd meint …“ Na ja, hat sich jetzt ja erledigt.
Sie hatten sich Ihre Antwort auf das Begehren des Kanzlers schon überlegt?
Meine Antwort wäre gewesen: Warten wir es mal ab. In solchen Situationen darf man nicht zu schnell ja oder nein sagen. Bei der SPD gab es doch schon Planspiele. Die hätten massiv versucht, uns zum Übertritt in ihre Fraktion zu bewegen. Manche Herren glauben ja, ihr Charme und ihre Überzeugungskraft sind unwiderstehlich.
Sie hätten entschieden, wer Kanzler wird.
Wieso hätte? Wer weiß, was noch kommt.
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