piwik no script img

Ruhe trifft Geschwindigkeit

Kunst plus ist eine sehenswerte Ausstellung – obwohl Kuratorin Anna Solecka-Zach scheitert. Ihr Vorhaben: Das Bremer Kunstschaffen nicht als Sammelsurium zu präsentieren

Carrera-Bahn wird unangestrengt zum Symbol des Unendlichen

Gut gemeint ist halb verloren. Zumindest, wenn‘s darum geht, eine Ausstellung zu konzipieren: Repräsentativ soll die Jahres-Schau „Kunst plus“ sein, die der Landesverband Bremer Künstlerinnen und Künstler (BBK) ab morgen in der Städtischen Galerie zeigt. Repräsentativ und, so betont Kuratorin Anna Solecka-Zach, „auf keinen Fall ein Sammelsurium“.

Den ersten Teil des Anspruchs erfüllt sie. Die Ausstellung beweist, dass Bremens Kunstlandschaft die Konkurrenz nicht fürchten muss. Und dass sie vielfältig ist. Ein Sammelsurium eben. Wäre das zu umgehen gewesen? Der „subjektive Blick“, den Solecka-Zach als Richtschnur angibt, reicht als Ordnungskriterium jedenfalls nicht: An konzeptionellem Drive gewönne die Jahresschau wohl nur durch Verzicht auf die Hälfte der 13 per Jury ausgewählten „künstlerischen Positionen“.

Für die Aussortierten wäre das bedauerlich gewesen. Und wäre dann noch Gesamt-Bremen würdig vertreten? 600 Personen verzeichnet die hiesige Künstlerkartei - und zwei Prozent sind unbestreitbar repräsentativer, als eines. Den gezeigten Werken aber hätte die Reduktion zu mehr Geltung verholfen. So besticht Sandra Kuhnes Installation „Weihnachten“ durch subtile Komik und zartfühlende Bosheit: Über einem mitMokkatässchen und einer Stearinkerze eingedeckten Tisch leuchtet ein Trivialdia: Es zeigt das Brustbild eines Rentners, der, vor einer angegrauten 60er-Jahre Spitzengardine platziert, Kaffee trinkt.

Die aus Dresden stammende Künstlerin scheint den älteren Herrn rechts an die schäbig-adventliche Tafel gesetzt zu haben. Oder nicht? Der plastische Part des Ensembles weckt und dementiert den Eindruck: Ein Sperrholzstuhl, von der Höhe exakt auf die Projektion abgestimmt, steht neben Tisch. Allerdings auf der falschen Seite - links.

Aus technischen Gründen nachvollziehbar, aber künstlerisch ein faux-pas, dass im selben Raum der verkopfte Videoloop Velocity farbige Bildungszitate abspult: Das feinsinnige Spiel der Dresdnerin fordert kontemplative Ruhe. Die wird von Marikke Heinz-Hoeks und BNC‘s - alias Jürgen Drews - flimmernder Koproduktion empfindlich gestört.

Wie immer ist nicht alles schlecht. Während der eine Saal der ersten Etage das Programm „alles, was noch übrig blieb“ verfolgt, und während die Ziegelwand im Parterre die Wirkung von Claudia Medeiros-Cardosos Bewegungsbildern schluckt, ist der erste Raum der Bel-Etage klug arrangiert. An seinen Wänden nämlich entspinnt sich ein kontrastiver Dialog: Claus Hänsels Neoimpressionismus in pastösem Pastell widersprechen Isabel Valeckas schockierende Embryos aus Wachs Stoff und anderem organischen Material.

Den Kontrapunkt zu beiden aber bilden die sachlich-versponnenen Bleistiftzeichnungen Ralf Tekaats: Die Carrera-Bahn – so heißt eines der drei Großformate - wird unangestrengt zum Symbol des Unendlichen, der Gestus von „Aufklärer“ liegt zwischen martialischer Drohung und optimistischer Forschung.

In diesem Saal jedenfalls, das ist zu bemerken, reicht der Gedanke der Kuratorin über die Sorge hinaus, wie denn das um Himmels Willen alles unterzubringen sei. Davon - und nur davon - hätte es mehr bedurft.

Luis Meister

Kultur plus, Städtische Galerie Bremen, Buntentorsteinweg 112. Vernissage morgen, 19 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen