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Wenn das Tor zweimal klingelt …

… stürzt es vielleicht gerade ein. Nach zweijähriger Sanierung warnen Messpunkte am Brandenburger Tor bei Erschütterung. Morgen wird Deutschlands Nationalsymbol Nummer eins mit Tamtam enthüllt. Die Geschichte einer schwierigen Reparatur

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Auf einmal haben das Brandenburger Tor wieder alle lieb: Die BerlinerInnen sowieso, obwohl sie nicht mehr mit dem privaten Automobil hindurch fahren können. Der rot-rote Senat hat es ihnen verboten, es bleibt nach der Sanierung bis auf den Bus- und Taxiverkehr für sie geschlossen. Auch enttäuschte Touristen, wie die beiden Damen aus dem Fränkischen, fragen jetzt ganz ungeduldig: „Wann können wir es wieder richtig sehen und anfassen.“ Selbst Chefrestaurator Stefan Grell von der Firma Caro GmbH, der über 22 Monate den Dreck vom Sandstein gekratzt hat, ist happy. „60 bis 80 Jahre wird es dauern, bis die nächste Grundinstandsetzung ansteht“, sagt er.

Und wenn morgen, am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, die Plastikhüllen fallen, die so viele im Bezirk und drum herum ganz schrecklich fanden, und das Tor wieder eröffnet wird mit Bill Clinton, Michael Gorbatschow, Johannes Rau, den Senatsoberen und dem einstigen Schi-As Willy Bogner werden alle klatschen, als sei nichts gewesen. Jetzt ist es vorbei mit dem abwesenden, verschleierten Wahrzeichen. Es hat wieder Zukunft – das Nationalsymbol der Freiheit Berlins und Deutschlands in finstren Zeiten.

Seien wir mal nicht so defätistisch. Das Bürgerfest, in Erinnerung an den gemeinsamen Tordurchmarsch von Helmut Kohl und Hans Modrow 1989 und die Einheitsfeier 1990, wird mit Sicherheit „ne Wolke“, wie der Berliner sagt. Über den Ehrengästen, dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und dem Volk wird Bogner von einem Heißluftballon aus das Tor enthüllen und die taubenkotgesicherte Siegesgöttin auf der Quadriga „quasi entblättern“. Das ist ein Superlativ.

Und damit das Tor quasi nie wieder untergeht im Staub der Großstadt und des Autoverkehrs kommt noch einer dazu: Berlin hat die vielen tausend Helfer der Flutkatastrophe zur Eröffnung eingeladen – als Garanten deutscher Gründlichkeit und „Solidarität“. Ist das nicht super?

Es ist nicht erstaunlich in Zeiten der Nostalgie, mit welchem Aufwand, politischem Gezänk – als ginge es um die Errichtung eines Denkmals für Nazi-Opfer –, und finanziellen Sonderanstrengungen sich das Land um sein Wahrzeichen gekümmert hat. Seit klar war, dass das Tor wackelt „und statisch gesichert werden muss“, wie Lothar De Maizière, Vorsitzender der Stiftung Denkmalschutz, im Jahr 2000 sagte, ging es in Berlin neben dem Bankenskandal, den Regierungswechseln, Finanzkrisen und der Schlossdebatte doch immer nur um ein Thema: nämlich um das Brandenburger Tor und die Frage: Wird es wieder wie es einmal war zu Preußens glorreichen Zeiten?

Die Frage war nicht unberechtigt: 50.000 Fahrzeuge täglich sowie benachbarte Baumaßnahmen und die über 200 Jahre alte Geschichte – inklusive 18.000 Infanteriegeschosse, die im Zweiten Weltkrieg im Kampf um Berlin in den Sandstein einschlugen – hatten jenseits ein paar kleinerer Restaurierungsarbeiten dem Denkmal aus dem Jahr 1791 so zugesetzt, dass es einzustürzen drohte.

Das war genug für die Denkmalexperten und das Land Berlin, Eigentümerin des Tores. Es musste gehandelt werden, meinte SPD-Bausenator Strieder damals. Zwar rückten Architekten, Handwerker und Ingenieure mit einem Team von 40 Restauratoren, Malern und Steinmetzen an. Und heute weiß man, dass sie 59.000 Arbeitsstunden dort verbrachten und die schädliche millimeterdicke Gipskruste vom Sandstein kratzen, die Risse und Einschusslöcher stopften, den sensiblen Stein nach dem historischen Vorbild aufpolierten und mit einer eigens entwickelten Festigerlasur präparierten. Aber der Weg dorthin war weit.

Zum Konflikt kam es etwa im vergangenen Jahr, als darüber gestritten wurde – mal ernsthaft, mal witzig (wie bei der Pfennig-Aktion „Welche Farbe soll das Tor erhalten?“) –, in welchem Ton der Sandstein einmal erstrahlen sollte. Die Farben Weiß, Rot, Grau und Natur wurden gehandelt, und dass sich die Denkmalschützer schließlich mit dem naturfarbenen hellen Sandsteinglanz durchsetzten, war vernünftig, aber nicht immer absehbar. War das Tor in Zeiten des 19. Jahrhunderts doch in unterschiedlichen Farben schon mal drapiert worden. Viel lauter noch war der Aufschrei der Berliner, als die fünf Durchfahrten samt Attika unter verschiedenfarbigen 2.900 Quadratmeter großen Werbeprospekten der Deutschen Telekom AG verschwanden. Das Brandenburger Tor galt dem Bezirk Mitte plötzlich als unantastbares Weltkulturgut, als die flächendeckende Reklame von „T-Mobil“ das Tor verschleierte. Die Motive des historischen, stehenden, kippenden und vom Reißverschlussplakat verhüllten Tores, das mit Aufschriften versehen war wie „Wind-und-Wetter-News direkt vom Handy“, gerieten zur Angriffsfläche.

Auch darum, weil zwar die Sanierung in Höhe von rund 4 Millionen Euro vom Sponsor getragen wurde und damit keine öffentlichen Gelder verschlang, aber die Stiftung sich immer wieder Verdächtigungen ausgesetzt sah, sie habe sich ein paar Telekom-Euro in die eigene Tasche gesteckt. Reinhard Müller von der Denkmalstiftung sagt bis heute, „man habe keinerlei Geld am Brandenburger Tor verdient“. Eine Aussage, die man glauben kann oder nicht, denn transparent gemacht hat die Stiftung die Auswahl des Sponsors und das Verfahren nicht. Sei’s drum. Auch das wird das Tor aushalten.

Viel wichtiger ist, dass es nicht mehr bröckelt, wenn Erschütterungen auf das Fundament einwirken werden. Hinter der Verhüllung haben die Ingenieure so genannte Schubbremsen in den Untergrund am Tor eingebaut, die kommende Lasten gewissermaßen abfedern sollen. Wenn also Busse, Neonazis im Gleichschritt oder Fußballfans nach der WM 2006 die Torpassagen belasten, bleibt es stehen wie eine Eins. Noli me tangere. Diese technischen Meisterleistungen und die Investitionen der Wirtschaft und Industrie haben schon vor der Eröffnung zu einer Auszeichnung geführt. Das Engagement und der Forschungsgeist bei der Entwicklung neuer Baustoffe und Mörtelrezepturen würdigte der Schirmherr der Stiftung, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, schon jetzt mit der Zuerkennung eines Präsents an die Forscher und Helfer: mit einem in einen Glaskubus gelaserten Brandenburger Tor en miniature.

Man hätte es ja noch einfacher haben und sagen können, ab dem 3. Oktober stehen die Säulendurchfahrten nur den Fußgängern und Radlern offen. Aber nein, Busse und Taxen mussten sein. Das ist zwar immer noch besser als die Idee eines Exbausenators zu Beginn der 90er-Jahre, das Tor mit einer Tunnelröhre zu untergraben. Aber mehr auch nicht.

Doch wie immer bei der Torsanierung, – siehe Einschusslöcher, Arbeitsstunden, Finanzierung und den neu eingesetzten Mikrotrockenstrahl – hat man auch hierauf mit einem Superlativ geantwortet. Schließlich geht es um das Nationalsymbol. Sollte das Tor doch einmal zu heftig erschüttert werden, wird es nicht mehr Jahre, sondern nur ein paar Sekunden dauern, bis man die Schäden erkennt: Michael Pauseback, Restaurator und Kunsthistoriker, ist darum nicht bange, denn man hat ein jederzeit abrufbares, computergesteuertes „Messcheckheft“ entwickelt, das aus 24 Millionen Mikrometer-genauen Messpunkten besteht. Stimmt plötzlich einer nicht mehr, dann klingelt es. Hoffentlich nicht schon beim Bürgerfest zur Eröffnung des Brandenburger Tores am 3. Oktober 2002, wenn Bill Clinton durch das Tor tritt.

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