: Die Geschichten teilen
Er war Einzelkind und wollte Individualist werden. Bis er in den Westen ging: Der japanische Autor Haruki Murakami las im Literarischen Colloquium aus seinem neuen Roman und amüsierte sich sehr über seinen Gesprächspartner
Eigentlich ist es blöd, sich seine Bücher signieren zu lassen. Wenn man sich nach Lesungen mit dem soeben erworbenen Buch in die Schlange reiht und plötzlich zu einer stillen Anhängerschaft gehört, zu Leuten, die womöglich lauter „Bibliophiles“ in ihren Regalen haben. Als aber Haruki Murakami im Literarischen Colloquium am Wannsee lesen soll, da ist man plötzlich doch in Versuchung, steht lang vorm eigenen Bücherregal und überlegt. Vielleicht nur eins? Den neuen Roman? Oder besser den Lieblingsroman, der einen einmal durch das Examen gerettet hat? Ach nein, der Weg ist weit nach Wannsee, die Bücher sind schwer und bleiben da.
Schon eine Stunde vor Beginn der Lesung ist es kaum mehr möglich, einen passablen Platz zu ergattern. Zwei junge Männer in Schuhen aus Mitte lauern aufgekratzt auf einen Platz im Gang, bis keiner mehr durchmuss. Überhaupt ist die Stimmung hysterisch: Schließlich sollte Haruki Murakami schon im letzten Herbst nach Deutschland kommen und hat dann wegen dem 11. September abgesagt. Ganz schön eng und stickig hier. Die Gefühle, die im Raum schweben, sind einfach zu groß für das Literarische Colloquium. Vielleicht hätte man doch lieber das Renaissance-Theater mieten sollen. Oder die Deutsche Oper. Oder die Max-Schmeling-Halle. Ah, da ist er ja, Gott sei Dank, er ist nicht dick, wie die Fotos vermuten lassen. Ganz im Gegenteil, Haruki Murakami strahlt und scheint fast zu platzen vor Witz. Aber zuerst das Graubrot: Der Literaturkritiker Lothar Müller spricht.
Lothar Müller erklärt, was es mit Haruki Murakami auf sich hat. Er erklärt, warum Haruki Murakami hier ist und wie sein neues Buch funktioniert. Das ist alles wahr und schlau gesprochen, Haruki Murakami aber, der hergekommen zu sein scheint, um Spaß zu haben, erwischt er damit nicht. Haruki Murakami antwortet, dass er nichts mehr zu sagen hat, weil ja Lothar Müller schon alles erklärt habe. Lothar Müller redet weiter. Haruki Murakami antwortet, er habe seinen neuen Roman „Sputnik Sweetheart“ genannt, weil das so schön klingt. Er sagt, wenn er schreibt, wisse seine rechte Hand nicht mehr, was die linke tut. Ein Mordsspaß sei das. Als ihn Lothar Müller fragt, warum in seinen Büchern immer so viele Menschen verschwänden, antwortet er, das sei ganz natürlich in Japan und lacht. Kurz: Wir haben es hier mit einem hübschen Lehrstück über die Schwierigkeiten, Schriftsteller zu ihren Büchern zu befragen, zu tun.
Dann aber sagt Haruki Murakami doch noch ein paar schöne Sachen, ungefragt natürlich. Dass er Einzelkind war und Bücher und Platten seine besten Freunde zum Beispiel. Dass man sich in Japan viel stärker darüber bewusst sei, wie wenig stabil alles sei, besonders seit dem Zusammenbruch des Optimismus der Nachkriegszeit durch das große Erdbeben von 1995 und den Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn. Dass man immer dachte, je härter man arbeitet, desto reicher wird man und je reicher man wird, desto glücklicher auch. Dass das eine Tragödie sei. Haruki Murakami erzählt davon, wie er zuerst ein Außenseiter in Japan wurde, weil er keinem großen Unternehmen mehr angehörte. Wie er unbedingt Individualist sein wollte und individualistische Bücher schreiben wollte. Und wie er dann ins Ausland ging in die USA und nach Griechenland und diesen Wunsch wieder verlor.
Am Ende sagt Haruki Murakami dann noch etwas, weshalb man doch bereut, dass man kein Buch zum Signieren mitgenommen hat. In ziemlich gebrochenem Englisch erzählt er, wie froh er doch wäre, wenn wir uns identifizieren könnten. Wenn wir seine Geschichte mit ihm teilen könnten. Es hilft nichts: Es muss doch ein Buch gekauft werden, und das, obwohl man schon alle hat. Die Schlange zum Autor ist gar nicht lang. SUSANNE MESSMER
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