: 20 Milliarden Euro?!
Warum die grüne Finanzexpertin Scheel mit einer rot-grünen Spar-Unsumme am Ende Recht behalten könnte
BERLIN taz ■ Auf den Bundestagsfluren herrschte gestern Mittag mittlere Empörung. 20 Milliarden Euro? Wie kann man solche Beträge nennen! Gemeint war Christine Scheel, die Vorsitzende des Finanzauschusses des Bundestages. Die Grünen-Politikerin hatte zuvor die Sparsumme des Bundes mal eben um 100 Prozent erhöht. Im kommenden Jahr müssten nicht 10 Milliarden Euro aus den Etats gekürzt werden, um 2003 Politik machen zu können, sondern eben 20 Milliarden.
Unter Finanzern gelten schon 10 Milliarden Euro Einsparungen als gigantisches Projekt. Der Haushaltsexperte des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung, Dieter Vesper, etwa schätzt das Sparziel als das ehrgeizigste, das in der jüngeren deutschen Geschichte in Angriff genommen wurde. Zwar hat Rot-Grün gleich zu Anfang seiner Amtszeit 16 Milliarden aus dem Budget des Bundes geschnitten – aber das waren noch selige DM. Diesmal geht es um Euro.
Natürlich dementierten binnen weniger Minuten alle zuständigen Stellen. Ein Sprecher des Bundesfinanzministers sagte der taz, sein Chef Hans Eichel (SPD) habe einen Kürzungsbetrag von 20 Milliarden Euro nicht in den Mund genommen. Auch der Sprecher des Arbeitsministers Walter Riester (SPD), in dessen Ressort die zusätzlichen Sparmilliarden anfielen, winkte binnen Minuten ab: An der von den Grünen genannten Summe sei nichts dran.
Christine Scheel hatte sich nach einem Gespräch der Finanzexperten von SPD und Grünen mit Eichel geäußert. Scheel sagte, der Finanzminister habe die Umsetzung des arbeitsmarktpolitischen Konzeptes von Peter Hartz mit Kosten von 10 Milliarden Euro beziffert. Also rechnete Scheel flugs die bereits bekannten Defizite des Bundes für das Jahr 2003 hinzu – und kam folgerichtig auf 20 Milliarden. Das Problem für die rot-grüne Koalition. Scheel ist eigentlich keine, die nicht mit Zahlen umgehen könnte. Die Frau gilt als seriöse Finanzpolitikerin.
Und neben Scheel berichteten auch andere Teilnehmer der Koalitionsrunde, Eichel habe die Kosten der Umsetzung der Hartz-Vorschläge auf einen mindestens zweistelligen Milliardenbetrag beziffert. Genaue Summen habe er freilich nicht genannt.
Für die Koalition bedeutet Scheels Rechenfähigkeit eine Art Menetekel: Es könnte finanziell letztlich viel härter kommen mit Rot-Grün, als mancher denkt. Eichels Sprecher gab zwar Entwarnung – es sei nicht die Art von Hans Eichel, anderen Leuten Vorschriften zu machen. Aber das gilt wohl nur vorläufig: „Denn es handelt sich ja noch nicht um Haushaltsberatungen, die derzeit geführt werden, sondern um Koalitionsverhandlungen.“
Auch das Dementi des Arbeitsministers lohnt eine genauere Betrachtung. Der bestritt gar nicht, dass das Hartz-Konzept Geld koste, verschwieg aber, wie viel es sei. Und an einem Punkt gab er Christine Scheel sogar Recht: „Die Kosten, die aus der Umsetzung des Hartz-Konzepts entstehen, werden allein aus dem Etat der Bundesanstalt für Arbeit finanziert.“ Und dafür steht notfalls der Bundeshaushalt gerade. CHRISTIAN FÜLLER
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