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Gekommen, um zu unterhalten

Nach der vierten Auswärtsniederlage in Folge läuft der Hamburger SV Gefahr, wie beim 0:3 auf Schalke komödiantischer Stargast aller Bundesligabühnen zu werden. Jetzt wird die Nähe zu den Fans gesucht, die das gar nicht mehr lustig finden

von OKE GÖTTLICH

Werner Hackmann kann noch grinsen. Ganz tief im Bauch des HSV-Präsidenten muss es einen Katalysator für den unbändigen Groll geben, den sein Team jedes Auswärtsspiel aufs Neue produziert. Nur das Sprachzentrum scheint unter dem zu verarbeitenden Müll in Mitleidenschaft gezogen. „Nein, nein, ja“, wiederholte der gerade aus dem Urlaub zurückgekehrte Hackmann immer wieder auf die ebenfalls repetitive Fragestellung vieler Journalisten, „ob es eine Trainerdiskussion geben wird, bereits Verhandlungen mit Nachfolgern für Kurt Jara geführt worden sind und man dem Trainer weiterhin das Vertrauen schenkt.“ Dabei erzwingt er sich ein Grinsen, bei dem niemand beurteilen kann, ob sich in dem Gesicht bereits mehr Wissen ausdrückt, als Hackmann bereit ist, preiszugeben, oder er sich selber später im Fernsehen nicht als leidenden Kloß erleben möchte. Möglich auch, dass das Grinsen Hackmanns genau die Überheblichkeit darstellt, die dem HSV in den vergangenen 15 Jahren des häufigeren zum Verhängnis wurde.

Die Fußballer des HSV tun ihr Bestes, damit das auch so bleibt. Beinahe clownesk bemühen sie sich mit Hilfe Mitleid erregender Trotteleien wenigstens noch einige Lacher zu produzieren, wenn das mit dem Fußballspielen schon nicht mehr klappt. Trainer Kurt Jara mit seinem österreichischen Schmäh findet an diesem Humor auch noch derart Gefallen, dass er es nicht für nötig hält, mit vorzeitigen Auswechslungen wenigstens ernsthaften Aktionismus vorzutäuschen. Erst in der 77. Minute, als das Spiel längst entschieden war, wechselte er Ingo Hertzsch für Kim Christensen aus. Das war mindestens 60 Minuten zu spät. Denn bereits 15 Minuten nach Anpfiff hätte man bemerken können, dass die Defensivabteilung mit den Schalker Offensivkickern überfordert gewesen ist. Die Schalker Varela über links, Sand und Agali im Zentrum, sowie Asamoah über rechts erkannten die geringe Durchsetzungskraft der Hamburger in den Zweikämpfen und nutzten die erste Viertelstunde für zwei frühe Tore.

Trotz der „Naivität in der Defensive“ (Jara), wollte der HSV-Coach seiner „Mannschaft die Chance geben, sich zu beweisen“. Einem Team, das von Kapitän Nico Jan Hoogma in Schutz genommen wurde, weil der Abwehrchef fand, „das die Niederlage auf meine Kappe geht“. Eine ehrenhafte, aber unzureichende Analyse, auch wenn die entscheidenden Fehler zum 0:1 im verlorenen Zweikampf gegen Agali und zum 0:2 im verlorenen Kopfballduell gegen Ebbe Sand durchaus ihm anzulasten waren.

Die Schalker Fans hatten weiter ihren Spaß und ließen sich von der humorigen Vorstellung des HSV anstecken. „Macht sie alle, schießt sie aus der Halle“ tönte es in der mit 60.000 Menschen ausverkauften Arena. Schalkes Trainer Frank Neubarth, ähnlich einem Dompteur, wies sein Team kurz vor der Pause an, den HSV endgültig zum Statisten zu degradieren. Mit einem Finger wirbelte er durch die Luft und ermahnte sein Team weiter durch offensive Verwirbelungen, Lücken in die Hamburger Defensive zu reißen. In der 45. Minute mit Erfolg. Gerald Asamoah traf zum 3:0, und statt einem Halbzeitpfiff hätte der Schiedsrichter dem Treiben lieber ein Ende gesetzt, um dem HSV eine dem Spott freigegebene zweite Halbzeit zu ersparen.

Den mitgereisten Fans blieb der Trost, dass sie in der Krise in das Zentrum der Bemühungen aller Beteiligten gerückt werden. Egal ob Präsident, Teammanager oder Spieler. Sie alle hätten sich in Michael Baurs Erklärung wiederfinden können: „Wir müssen uns bei den Fans bedanken, dass sie überhaupt noch mitfahren.“ Ehrlicher war nur noch Manager Dietmar Beiersdorfer. „Wahrscheinlich sind bei den Schalkern nicht mal die Beine schwer“, erkannte er. Dafür aber die Lachmuskeln.

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