: Ein Spiel für Töpperwien
In einer mittelschwer denkwürdigen Partie gewinnt Meister Borussia Dortmund bei Aufsteiger Hannover 96 mit 3:0. Allerdings hätte das Spiel nicht unbedingt so ausgehen müssen
von DIETRICH ZUR NEDDEN
Es regnete. Nein! Es pladderte. Unaufhörlich plästerte es norddeutsch by nature im hannoverschen Stadion, so dass man auch auf der Pressetribüne eng zusammengerückt war – und mehr als sonst miteinander ins Gespräch kam. Wer denn für das ZDF da sei, fragte der Nachbar die Kollegin, die sich als Mitarbeiterin eben dieses Senders vorgestellt hatte. „Töpperwien“, kam es zurück. Daraufhin der Mann von der Zeitung: Na, das sei ja ein Spiel wie für ihn gemacht.
So war es. Töpperwien erfüllte die Erwartungen (er würde vermutlich Erwartungshaltung sagen), die man traditionell in ihn setzt. „Aufregend, spektakulär, nervenaufreibend“, dröhnte er später aufgeregt in seinem Bericht fürs Sport-Studio. Und: „Wer dieses Duell nicht über 90 Minuten gesehen hat, wird nicht beurteilen können, dass das Spiel auch ganz anders hätte ausgehen können.“
Dergleichen kommt bei Fußballspielen in der Tat vor, und anschließend wird der Satz hervorgekramt, dass sich doch im Laufe einer Saison alles ausgleiche, was Glück, Pech, Zufall und indisponierte Schieds- respektive Linienrichter so anrichten. Den Beweis hat allerdings noch niemand erbracht.
Nach dem 3:0-Sieg des deutschen Meisters aus Dortmund beim Aufsteiger mit dem schlechtesten Start jedenfalls suchten erst mal alle Beteiligten die nächstgelegenen Bildschirme auf, um die heiklen Szenen zu begutachten. Damit hatten sie viel zu tun zu tun, denn es gab sie reichlich. Bis auf die ersten zehn Minuten bestimmten die „96er“ bis zur Pause das Spiel. Auch ohne den verletzten Ex-Dortmunder Bobic – von Sammer aussortiert –, und ohne Jaime, den coolen Spanien-Import, kombinierten sie schnell und gut, während die Dortmunder sich zurückhielten, gerade so als ob sie mehr oder weniger routiniert abwarteten, wann sie zuschlagen könnten.
Dazu aber brauchten sie schließlich die Hilfe des anatomische Sachverhalte ignorierenden Linienrichters Palilla, der zwei Minuten vor der Halbzeit die Schulterberührung von Hannovers Innenverteidiger Diouf als Handspiel interpretierte. Den somit fällig gewordenen Elfer verwandelte Frings sicher. Pallila wiederum wollte seinen Fehler offenbar nicht wiederholen, machte ihn aber gerade deshalb noch mal, als ihm in der zweiten Halbzeit entging, dass Dedé zufällig an derselben Stelle des Platzes tatsächlich Hand spielte. Während die halbe hannoversche Mannschaft daraufhin mit Protestkundgebungen beschäftigt war, setzten Ewerthon und der formidable Koller in drei Zügen das 2:0. Doch selbst dieses hätte noch nicht unbedingt Matt bedeuten müssen, denn 96 – nach wie vor kultiviert stürmend – bekam bald darauf einen Strafstoß nach einem Foul von Madouni an Stendel zugesprochen. Doch der erneut bisweilen autistisch wirkende Staijner schoß deutlich daneben.
War’s das? Nein. Immer noch nicht. Nach all den Elfmeterturbulenzen fehlte schließlich noch eine rote Karte, um das Spiel zu einem mittelschwer denkwürdigen werden zu lassen. Sie leuchtete bald. Denn Dame Diouf verhielt sich ganz und gar nicht gentlemanlike nach einem Zweikampf mit Kehl, der zurückgekehrt war an die Stätte, an der sein Stern vor vier Jahren in der Regionalliga aufgegangen war. Genauer: Diouf würgte Kehl beidhändig und musste dafür den Platz verlassen, womit von jetzt an wie folgt definiert ist: Würgen mit einer Hand gibt Gelb (vgl. Kahn/Brdaric), würgen mit zwei Händen Rot. Andererseits bekam der Slogan, mit dem der Flughafen Hannover via Stadionsprecher die Torschützen präsentieren lässt, endlich eine zweite Bedeutung: „Hier fliegt der Norden.“
Dass der kurz vor knapp eingewechselte Amoroso drei Minuten vor Schluss dann noch lässig das 3:0 schoss, interessierte so recht niemand mehr. Die Zuschauer eilten aus dem ausverkauften Stadion nach Hause. Des unaufhörlichen Regens wegen – und wahrscheinlich auch, um es den Journalisten nachzutun, nämlich am Fernseher die Beweise für die – aus hannoverscher Sicht – geballte Ungerechtigkeit zu betrachten.
Sachlich nahm anschließend Dortmunds Trainer Sammer die drei Punkte zur Kenntnis. Für für die Borussia sind solche Siege ohnehin nur Pflichtübungen zwischen Partien gegen Eindhoven und Arsenal London. 96-Trainer Ralf Rangnick hingegen hatte zu Recht „nicht viel zu kritisieren“ an seiner Mannschaft. Muss aber immer noch auf den ersten Heimsieg warten. Aber das wird schon.
Hannover 96: Sievers - Cherundolo, Linke, Diouf, Stefulj - Lala, de Guzman (72. Kaufman) - Krupnikovic (87. Nehrbauer) - Stendel, Idrissou, Stajner (72. Casey)Borussia Dortmund: Lehmann - Evanilson, Wörns, Madouni, Dede - Kehl, Frings - Ricken (72. Heinrich), Rosicky (84. Amoroso) - Koller, Ewerthon (77. Reuter)Zuschauer: 48.700; Tore: 0:1 Frings (42./Handelfmeter), 0:2 Koller (63.), 0:3 Amoroso (87.); Rote Karte: Diouf (79.); Besonderes Vorkommnis: Stajner (68.) vergibt Foulelfmeter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen