: Von Caligari bis Lola rennt
Weitgehend Untermalung: Das Hamburger Label Ceraton Music hat in Zusammenarbeit mit dem Filmmuseum Berlin und dem Münchner Label Cinesoundz eine zweiteilige Kompilation mit Musik im deutschen Film veröffentlicht
von MATTHIAS SEEBERG
Das Verhältnis zwischen Film und Filmmusik reicht von einer weitgehenden Eigenständigkeit der unterschiedlichen Medien Bild und Ton über eine kontrapunktische Beziehung bis zu reiner Dekorhaftigkeit der begleitenden Musik. Existierte zu Walter Ruttmanns Sinfonie einer Großstadt (1927) noch eine eigens komponierte Partitur, und versuchte Sergej Eisenstein in Aleksandr Nevskij (1938) die Bilder mit der Partitur von Sergej Prokowjew in Einklang zu bringen, hat eine große Anzahl von Soundtracks lediglich begleitenden Charakter.
Die meisten Innovationen entstanden in der Ära des Stummfilms, als die Bilder eines adäquaten akustischen Ausdrucks bedurften und eigentlich musikalische Konzepte wie Melodie, Harmonie und Rhythmus zum wesentlichen Bestandteil filmischer Grundausrüstung avancierten. Vor allem in Europa galt der Film dieser Zeit als neue Kunstgattung, als Synthese von Literatur, moderner Malerei, Fotografie und Musik. Die deutsche Filmproduktion dieser euphorischen Situation der 20er Jahre brachte es zu einer ihrer blühendsten Epochen, bis der Nationalsozialismus viele ihrer bedeutendsten Vertreter zum Exil zwang.
Das Filmmuseum Berlin hat in Zusammenarbeit mit den Spezialisten-Labels Cinesoundz und Ceraton Music eine Kompilation veröffentlicht, die auf 2 CDs mit 52 Songs und Soundtracks zu einer akustischen Zeitreise durch die deutsche Filmmusik des 20. Jahrhunderts einlädt. Der erste Teil mit dem etwas prätenziösen Titel Symphonik & Schmelz – Indolenz & Ironie gibt einen Überblick über die Jahre 1919 bis 1944. Den Auftakt bilden zwei Ausschnitte aus der so genannten Kinothek von Giuseppe Becce, in der sich für jede potenzielle Stummfilmszene passende musikalische Versatzstücke befanden, aus denen ein Kinokapellmeister in wenigen Stunden eine Begleitmusik komponieren konnte.
Diesen Raritäten folgen neben bekannten Stücken wie Hans Erdmanns Nosferatu-Thema (1922) und Otto Webers „Caligari-Foxtrott“ (1920) Besonderheiten wie Paul Hindemiths „Gebrauchsmusik“ zu Im Kampf mit dem Berge (1921), und das ideologisch motivierte Thema Marathonlauf von Herbert Windt aus Leni Riefenstahls nationalsozialistischem Propagandaepos Olympia (1936-38). Als besondere Kuriosität ist die von Peter Lorre in Fritz Langs M – Eine Stadt sucht einen Mörder (1931) gepfiffene Melodie von Edward Grieg enthalten, die einem heute noch Schauer über den Rücken jagt.
Auf der zweiten CD befinden sich unter dem Motto Illustration & Schlager – Tradition & Experiment Hörbeispiele der deutschen Filmgeschichte von 1946 bis 2000. Die Vermutung, ideologische Differenzen zwischen Ost und West würden sich auch in der Filmmusik widerspiegeln, lässt sich anhand der vorliegenden Auswahl nicht bestätigen. Die Produktionen der 50er sind hier wie dort mit traditonellen sinfonischen Themen unterlegt, und in den 60ern dominiert auf beiden Seiten der Einfluss der Beat- und Schlagerkultur. An der Musik zu so unterschiedlichen Filmen wie Heißer Sommer (1968) und Der Himmel über Berlin (1987) zeigt sich, dass der Anspruch möglichst passender Untermalung in beiden deutschen Staaten zum Standard geworden war. Komplettiert wird dieser zweite Teil von weniger spektakulären, aber aktuelleren Beispielen aus Filmen wie Lola rennt oder Die Unberührbare.
Die den CDs beiliegenden Booklets beinhalten etliche Fotos und einige Informationen zu den Musikstücken und ihrem filmhistorischen Kontext. Das Fehlen thematisch orientierter oder theoretischer Reflexionen liegt sicher darin begründet, dass sich das zugrunde liegende Konzept auf eine chronologische Zusammenstellung beschränkt, die kaum mehr will, als ein interessiertes Publikum zur weiteren Beschäftigung einzuladen.
Musik zum deutschen Film, Vol. 1, 1900–1945, EFA 02942-2; Musik zum deutschen Film, Vol. 2, 1946–2000, EFA 02943-2, je 19,99 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen