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Krawall auf Kommando

Elisabeth Niejahr und Rainer Pörtner illustrieren die Regeln der Macht mit Beispielen aus dem prallen Leben der Politik

Der Machterhalt, die Akzeptanz im Haus, ist wichtiger als stringentes Sparen

Was ist denn da los? Zunächst erscheint rätselhaft, was sich momentan beim Thema Vermögenssteuer tut. Erst preschen SPD-Ministerpräsidenten vor und werden prompt von Gerhard Schröder zurückgepfiffen. „Eine ärgerliche Steuerdebatte“ nennt der Kanzler den Steuervorschlag. Der Zuschauer denkt sich, wie erwartet und geplant, dass der Haussegen ordentlich schief hängt und dass Ministerpräsidenten wie unartige Kinder von Papa Schröder ausgeschimpft werden.

Doch: Erstaunlicherweise geben die Gören nicht nach, sondern verlangen munter weiter ihre Ländersteuern und drohen sogar an, dass sie eine Bundesratsinitiative starten werden. Ja, hat denn der Kanzler gar keine Autorität? Noch bevor die zuschauenden Bürger diese Frage so recht durchdenken können, erfahren sie, dass es in Wahrheit so gewesen sei, dass Papa Schröder seinem Nachwuchs in Privatgesprächen ausdrücklich erlaubt hat, unartig zu sein. Es ist also Krawall auf Kommando.

Diese Politik mag paradox erscheinen, aber sie ist höchst effektiv, wie sich bei den beiden Journalisten Elisabeth Niejahr und Rainer Pörtner nachlesen lässt. Sie haben ein „Buch ohne Moral“ verfasst, das zu beschreiben versucht, „wie Politik ist – und nicht, wie sie sein sollte“.

Um auf die Vermögenssteuer zurückzukommen: Ministerpräsidenten haben bei ihren Bürgern nur eine Chance, wenn sie sich gegenüber der Bundesregierung profilieren. „Der tut was für unser Land!“ Das trifft ganz besonders auf Sigmar Gabriel zu, einen der lautstärksten Vertreter der Vermögenssteuer, denn er gilt als Ziehkind des Kanzlers und muss demnächst Landtagswahlen in Niedersachsen bestehen. Den braven Musterschüler darf er da nicht mimen. Schon früher hat Schröder daher schmunzelnd zugesehen, wie sein Freund den Zwergenaufstand probte.

Einige Beispiele, die sich bei Niejahr und Pörtner finden: Gabriel nahm sich heraus, Eichels Sparkus als „Voodoo-Ökonomie“ zu bezeichnen, oder er dachte laut über das Verhältnis von PDS und SPD nach, obwohl der Kanzler gerade die Losung ausgegeben hatte, dass dies kein Thema sei.

Niejahr und Pörtner behaupten nicht, dass sie die Regeln der Macht neu entdeckt hätten. Geradezu dankbar zitieren sie Machiavelli oder auch Dick Morris, der den ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton während des Wahlkampfes 1996 beraten hat. Die beiden Autoren haben keine theoretischen Ambitionen und sie haben auch kein Handbuch geschrieben, das sich als Anleitung für Jungpolitiker eignen würde. Vielmehr wollten sie die bekannten Regeln der Macht illustrieren, indem sie Beispiele aus dem prallen Leben der deutschen Politik schildern. Die meisten dieser kleinen Geschichten von Aufstieg und Fall, von Intrige und Instinkt, von Kalkül und Konkurrenz sind nicht neu. Aber viele hatte man schon wieder vergessen und wird nicht ungern an sie erinnert.

So war der FDP-Finanzexperte Hermann Otto Solms schon immer gegen die Ökosteuer. Als sie dann von Rot-Grün eingeführt wurde, bemerkte er sofort den entscheidenden Fehler bei der Vermarktung: Die Steuer steigt jeweils zum 1. Januar an. Dies ist jedoch eine außerordentliche nachrichtenarme Zeit, und da die Medien über irgendetwas berichten müssen, widmen sie sich jedes Jahr aufs Neue ausführlich der „Benzinwut“.

Auch an die grünen Verhandlungskünste beim Thema Subventionsabbau wird man gern erinnert. So brachten die Grünen 1998 ein ausgefeiltes Steuerkonzept mit in die Regierung, das unter anderem vorsah, die Vergünstigungen für Diplomaten zu streichen. Doch kaum war Joschka Fischer Außenminister, da durften seine Untergebenen ihre Privilegien behalten. Der Machterhalt, die Akzeptanz im Haus, war wichtiger als stringentes Sparen. Das ist so geblieben. Diesmal hört man gar nicht erst davon, dass Diplomaten ungerechtfertigte Steuergeschenke erhalten.

Machterhalt hat sowieso viel mit Geld zu tun (was eigentlich auch jeder Leser weiß). Hier hätten die Beispiele zu den schwarzen Kassen von Exkanzler Helmut Kohl und der Subventionspolitik von Schröder kürzer ausfallen können. Fast interessanter ist sowieso die Frage, wie man eigentlich Macht gewinnt. Denn sie ist nicht das gleiche wie ein Posten: das hat etwa Angela Merkel als CDU-Vorsitzende in den letzten Jahren erfahren müssen. Macht hat im Kern nur, wer starke Konkurrenten besiegt hat. Daher beschäftigte der Dauerkampf zwischen FDP-Chef Guido Westerwelle und Exvize Jürgen Möllemann auch schon Niejahr und Pörtner. Und eigentlich muss man Westerwelle bedauern, dass es vorgestern nicht zum finalen Showdown gekommen ist, weil Möllemann erkrankte. Denn nun wirkt Westerwelles Einfluss bei der FDP wieder so, als hätte er ihn durch Zufall erworben. Diese Überlegung mag zynisch klingen, schließlich leidet Möllemann an Herzrhythmusstörungen, aber Niejahr und Pörtner wollten ja ein „Buch ohne Moral“ schreiben.

Es ist ein amüsantes Werk, aber letztlich bleibt es beim Blick von außen auf jene Geschichten, die längst in die Öffentlichkeit gedrungen sind. Das ist kein Vorwurf, denn es ist die natürliche Perspektive von Journalisten. Sie unterscheiden sich eben gar nicht so sehr von ihren Lesern, die sich ebenfalls ihren Teil denken, wenn sie Politiker im Fernsehen beobachten.

ULRIKE HERRMANN

Elisabeth Niejahr/Rainer Pörtner: „Joschka Fischers Pollenflug und andere Spiele der Macht. Wie Politik wirklich funktioniert“, 189 Seiten, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2002, 17,90 €

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