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Lula verpasst die absolute Mehrheit

In Brasilien muss Luiz Inácio „Lula“ da Silva nach seinem Sieg im ersten Wahlgang jetzt in die Stichwahl gegen den Regierungskandidaten José Serra. Dafür bemüht sich Lula jetzt um die Unterstützung durch seine unterlegenen Rivalen

aus Porto Alegre GERHARD DILGER

Die große Siegesfeier fand nicht statt. Den ganzen Sonntag lang waren tausende „petistas“, Anhänger der Arbeiterpartei PT, mit ihren roten Fahnen bei hochsommerlichen Temparaturen durch Porto Alegre gezogen. Der „Jahrhundertsieg“ schien greifbar: Letzte Umfragen vom Samstagabend hatten Luiz Inácio „Lula“ da Silva knapp unter der 50-Prozent-Marke gesehen. Für ganz Brasilien stand fest: Gegen den „Friedens- und Liebes-Lula“ mit dem gütigen Großvaterlächeln sind diesmal alle chancenlos.

Mediengerecht hatte Lula bei der Stimmabgabe am Sonntag im heimischen São Bernardo do Campo die brasilianische Fahne geküsst. In der letzten Fernsehdebatte am Donnerstag hatte er zwar nicht immer souverän gewirkt, doch die Zuschauer gaben dem Regierungskandidaten José Serra die schlechtesten Noten. Der erste Dämpfer kam bereits kurz nach Schließung der Wahllokale um fünf Uhr nachmittags. Nicht Lokalmatador Tarso Genro, der frühere Bürgermeister, lag bei der Gouverneurswahl von Rio Grande do Sul vorne, sondern ein vor kurzem kaum bekannter Kandidat der Zentrumspartei PMDB.

Dann, kurz nach halb sieben, die erste Hochrechnung: 49 Prozent für Lula – es blieb spannend. Später wurde aber klar: Lula kann noch nicht feiern, die Stichwahl kommt – und zwar gegen den Sozialdemokraten Serra, der mit 24 Prozent überraschend deutlich auf Platz zwei landete. „Wenn das nur keine Schlammschlacht wird“, sagte die „petista“ Neusa Ribeiro, die sich mit Grauen an Lulas Niederlagen 1989, 1994 und 1998 erinnert. „Jetzt wird das Establishment wieder Aufwind bekommen.“

Der Kandidat gab sich gelassen: In der PT-Wahlzentrale in São Paulo verwies er auf die großen Erfolge in mehreren Bundesstaaten. „Diese Wahl haben wir auf unserem letzten Parteikongress gewonnen, als wir uns für eine breite Bündnispolitik und eine profesioneller Wahlkampagne verständigt haben“, so Lula. „Wir werden unsere Strategie beibehalten, Optimismus und Hoffnung verbreiten und nicht nur anklagend Elend und immer mehr Elend beschwören.“

Dann lobte er seinen Vizekandidaten, den Industriellen José Alencar, und sagte: „Ich bin erneut angetreten, nachdem ich die Entscheidung meines Lebens getroffen hatte: kein 30-Prozent-Kandidat mehr, kein ideologisierter Lula mehr zu sein. Wenn wir nicht heute Nacht gewinnen, dann am 27.“ Konkret heißt das: Lula wird um Rückendeckung bei den unterlegenen Mitbewerbern aus dem Oppositionslager werben. Eine Niederlage in Rio de Janeiro macht es ihm leichter: Dort war nach der Präsidentschaftskandidatur des Populisten Anthony Garotinho im April die „petista“ Benedita da Silva als Gouverneurin nachgerückt. Für das Auftrumpfen der Drogenmafia in den letzten Monaten musste sie teuer bezahlen – Garotinhos Frau Rosinha siegte im ersten Wahlgang.

Da ein erbitterter Zweikampf nun ausbleibt, wird Garotinho, der für kleine Sozialistische Partei (PSB) antrat und 18 Prozent erzielte, Lula seine Unterstützung kaum verwehren. Ebenso darf er auf die Schützenhilfe des linksliberalen Ciro Gomes hoffen, der abgeschlagen bei 12 Prozent landete. Die innige Feindschaft zwischen Gomes und Serra wurde durch diverse Wahlkampfscharmützel gefestigt.

Solch persönliche Konstellationen sind jetzt besonders bedeutsam, denn die programmatischen Unterschiede zwischen allen Kandidaten sind äußerst gering. Zwar ist das jetzige Ergebnis ein Denkzettel für die Mitte-rechts-Regierung von Präsident Cardoso, dem es anders als 1998 nicht gelungen war, die ihn tragenden Kräfte geschlossen hinter seinem Kandidaten zu versammeln. Doch ähnlich wie Lula plädiert Serra für einen „ruhigen Wandel“ und wirkt dabei nicht unglaubwürdig: Innerhalb der Regierung hatte er aus seiner Abneigung gegen den neoliberalen Flügel nie ein Hehl gemacht und einen guten Gesundheitsminister abgegeben. Die Chancen für einen fairen Wahlkampfendspurt stehen gut: Denn angesichts der Mehrheitsverhältnisse im neuen Kongress, wo weder Lula noch Serra eine eigene Mehrheit haben, scheint selbst eine künftige Koalition zwischen PT und Serras PSDB möglich – unter einem Präsidenten Lula.

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