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Prima Kletterhilfe

Alter Baum soll geschlossenem Heim in der Feuerbergstraße weichen. LEB verteidigt Heim-Konzept. Zunächst zwölf Plätze in Atriumhaus geplant

„Es handelt sich um Kinder, die immer wieder ausgegrenzt wurden.“

von KAIJA KUTTER

Das erste geschlossene Heim, das Hamburg nach 20 Jahren bekommen soll, nimmt langsam konkrete Formen an. Zunächst zwölf Plätze werden in einem einstöckigen Atriumbau an der Feuerbergstraße in Ohlsdorf errichtet. Dass ein alter Baum im Hof gefällt werden soll, kritisierte gestern die grüne Bezirksabgeordnete Martina Gregersen. Ihr wurde zugetragen, der Baum soll weg, weil er eine Fluchthilfe sei. Dies sei, da die Einrichtung nur ein Provisorium ist, ein Skandal.

Kritik am Standort des früheren Barmbeker Mädchenheims gibt es von mehreren Seiten. So moniert der SPD-Politiker Thomas Böwer die mit sechs bis acht Quadratmetern viel zu kleinen Zimmer. Das Gebäude zu nutzen sei „pädagogisch völlig daneben“, sagt auch Thomas Lamm von der Pestalozzi-Stiftung, der früher einmal als Erzieher dort arbeitete. So sei das zehn mal zehn Meter messende Atrium als einzige Freifläche viel zu klein.

„Der Baum ist noch unser geringstes Problem“, sagt auch Wolfgang Lerche, Geschäftsführer des Landesbetriebs Erziehung und Berufsbildung (LEB), jenem städtischen Träger, der das Heim schaffen wird. Lerche: „Es gibt räumliche Bedigungen, die Pädagogik unterstützen, und es gibt welche, die sie konterkarieren.“ Problematisch sei neben den kleinen Zimmern, dass der Kinder- und Jugendnotdienst im Nachbargebäude bleibe und so „mehrere schwierige Zielgruppen“ gemischt würden. Vorteil der Feuerbergstraße sei allerdings, dass dort noch mehrere Häuser zur Verfügung stehen, die einst als geschlossene Heime gebaut wurden.

Man werde zunächst „mit den zwölf Plätzen Erfahrungen sammeln“, könne aber, wenn der Bedarf steige, zügig weitere Plätze schaffen. Dennoch prüfe der LEB, ob zu einem späteren Zeitpunkt ein Neubau in Frage kommt, der „das pädagogische Ziel optimaler unterstützt“.

Um die Höhe der Plätze gab es viele Diskussion. Die Schill-Partei fordert 200, jetzt werden es erstmal ein Dutzend. Für Lerche ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Bedarf „langsam wächst“, so gering nicht. Zwar ist die Schwelle hoch für die Einweisung, die nur ein Familienrichter verfügen darf, doch ist geplant, die Jugendlichen wie in anderen Bundesländern üblich für mindestens ein Jahr im Heim zu halten. Was bereits bei einer kleinen Gruppe zu einem hohen Platzbedarf führt und laut Lerche auch im Sinne der Jugendlichen ist: „Es handelt sich um sehr problembelastete Kinder, die von der Schule ausgegrenzt und von anderen Einrichtungen immer weitergereicht wurden.“

In dem neuen Heim, in dem die Freiheitseinschränkungen stufenweise abgebaut werden, wolle man deshalb „verlässliche und belastbare“ Beziehungen aufbauen und die „Lust zum Lernen“ wieder wecken. Fast noch wichtiger als die Räumlichkeiten sei es deshalb, qualifiziertes Personal zu bekommen, das eine „positive Grundhaltung auch zu schwierigen Kindern hat“.

„Fluchtgefahr ist nicht der Grund, weshalb die Bauabteilung angeregt hat, den Baum zu fällen“, sagt Klaus-Dieter Müller, der für das Heimkonzept zustänige Projektleiter in der Sozialbehörde. Der Baum sei „morsch“ und stelle ein Problem dar. Um die Flucht über das Dach zu verhindern, werde man geeignete Maßnahmen, wie „Eisenspitzen oder Stacheldraht“, installieren.

Ein Dementi, dem GALierin Martina Gregersen nicht traut. Hat sie doch gestern mit dem Kerngebietsausschuss Nord eine Vor-Ort-Begehung gemacht. Ihr Fazit: „Der Baum steht mitten im Hof und ist als Kletterhilfe zum Dach prima geeignet.“ Vom Naturschutzamt sei das Gewächs namens „Catalpa“ dagegen als „erhaltenswert“ eingestuft worden.

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