piwik no script img

Dancefloor Palästina

Sayed Kashua erzählt in seinem Roman „Tanzende Araber“ von dem Wunsch, ein Jude zu werden

von KATHARINA GRANZIN

Mit seinem Roman „Tanzende Araber“ sorgte der 27-jährige Sayed Kashua in diesem Frühjahr für eine Sensation in der israelischen Literaturszene. Kashua ist israelischer Palästinenser, und bereits die Tatsache, dass er seinen Erstlingsroman auf Hebräisch verfasste, erregte großes Aufsehen. Denn eine hebräisch-arabische Literatur gibt es praktisch nicht: Das letzte Mal, dass ein israelisch-palästinensischer Schriftsteller einen auf Hebräisch geschriebenen Roman veröffentlichte, war 1986.

Kashua bewegt sich also mit „Tanzende Araber“ auf weitgehend unbesetztem literarischem Gebiet. Er lässt sich von der großen Verantwortung, die darin liegt, nicht im Geringsten verunsichern: Indem er einfach eine Geschichte erzählt, die er kennt, schreibt der Schriftsteller den Israelis die Geschichte einer ganzen Generation junger Araber ins Lesebuch.

Kashua treibt die Regel vom „autobiografisch geprägten Erstlingsroman“ auf die Spitze, indem er die Bezüge zum eigenen Leben nicht versteckt, sondern gezielt offen legt. Genau wie sein Ich-Erzähler, dessen Namen wir im Übrigen nie erfahren, wuchs Kashua im arabischen Dorf Tira auf und lebt heute mit Frau und Tochter in Beit Safafa bei Jerusalem. Das erfahren die Leser im Klappentext. Auch Kashuas selbstverständlicher Umgang mit der hebräischen Sprache lässt vermuten, dass er – genau wie sein Erzähler – ein jüdisches Elitegymnasium besucht hat. Der bedeutsame Unterschied zwischen Autor und literarischer Figur liegt darin, dass Kashua es scheinbar geschafft hat, in der israelischen Gesellschaft anzukommen – er arbeitet als Journalist bei einer hebräischen Zeitung. Sein Alter Ego dagegen scheitert. Und eben dieses Scheitern ist die eigentlich natürliche Konsequenz aus der Geschichte, die Kashua erzählt.

Das zentrale Motiv von „Tanzende Araber“ ist die Erfahrung existenziellen Schmerzes, das der Autor in meisterhaft lakonische Szenen fasst. Für die arabischen Kinder des Dorfes Tira etwa bleibt lange eher unklar, wer überhaupt „die Palästinenser“ sind: „Einmal hatte unser Geschichtslehrer uns gefragt, wer von uns wisse, was Palästina sei, und keiner hatte es gewusst“, erinnert sich der Erzähler. „An jenem Tag hatte der Geschichtslehrer alle Kinder der Klasse geschlagen und mit dem dicken Muchamed angefangen. Er schlug uns mit dem Lineal und schrie dabei: ‚Wir sind Palästinenser, ihr seid Palästinenser, ich bin Palästinenser, ihr Dummköpfe, ich werde euch lehren, wer ihr seid, ihr Hornochsen!‘ “

Der physische Schmerz der Kindheit geht in die Identitätsqualen des Pubertierenden über, als es den Jungen auf ein jüdisches Elite-Internat verschlägt, wo nach dem Willen des Vaters seine Laufbahn als erster arabischer Atomwissenschaftler ihren Anfang nehmen soll. Für seine Schulkameraden ist „Araber“ ein übles Schimpfwort, und so will der Heranwachsende nur eines werden: ein Jude. Über diesem großen Projekt verliert er die Sorge um seine berufliche Zukunft gänzlich aus den Augen, kann aber schließlich immerhin stolz konstatieren, er sehe „israelischer aus als ein durchschnittlicher Israeli“. Wirklich dazugehören wird er nie.

Diesen verqueren Entwicklungsroman erzählt Kashua mit ironischer Leichtigkeit und Abgeklärtheit. Doch den Text durchzieht ein verzweifelter Unterton. Als die neue Intifada beginnt, schwankt der Protagonist zwischen Geilheit für die jüdischen Soldatinnen im Fernsehen und Hass auf das israelische Militär; zwischen dem Wunsch, zum Judentum zu konvertieren und dem Drang, sich öffentlich in die Luft zu sprengen.

In einer Szene, die diese Schizophrenie auf die Spitze treibt, beobachtet der Erzähler, der inzwischen als Barkeeper arbeitet, mit einer arabischen Kollegin zwei andere Araber auf der Tanzfläche: „Er schwenkt seinen Arsch in engen Stoffhosen in kreisförmigen Bewegungen herum, die nicht nur ihn lächerlich machen, sondern auch jeden, der neben ihm tanzt, die ganze Bar und vor allem mich und Schadiyah. […] Merken sie denn gar nicht, dass sie anders sind, wie wenig das zu ihnen passt, wie hässlich sie aussehen?“

Hasserfüllt ergehen sich die zwei Halbassimilierten hinter der Theke in Gewaltfantasien gegen ihre halbassimilierten Landsleute, die doch nichts anderes sind als ein Zerrbild ihrer selbst. Indem er diese „hässlichen“, tanzenden Araber zu den Titelgebern seines Romans macht, erhebt Kashua sie zum Sinnbild der eigenen Existenz und der seines Erzählers: eines Lebens irgendwo dazwischen, in dem jeder ganz für sich allein tanzt. Man wird von allen gehasst und sieht dabei noch unheimlich lächerlich aus.

Sayed Kashua: „Tanzende Araber“. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Berlin Verlag, Berlin 2002. 279 S., 19,60 €

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen