Der stille Bilderstürmer

Einer, der sich wohl fühlt an den Rändern von amerikanischem Hipstertum und europäischem Denken: Der Musiker David Grubbs – ehemals Mitglied bei den Bands Bastro, Gastr Del Sol, The Red Krayola, jetzt solo – ist auf Tournee. Zwei Texte seines neuen Albums schrieb der Schriftsteller Rick Moody

von JULIAN WEBER

Um an neuer Musik zu arbeiten, verlässt der New Yorker David Grubbs seine Wohnung und geht in ein Büro. Dies würde ihn an Marie Antoinette erinnern, die sich als Bäuerin ausgab, um ihre wahre Identität zu verschleiern. „Es ist ein Luxus, den ich mir leisten kann, weil ich von meiner Musik lebe“, erklärt er.

Schon früher interessierte sich Grubbs für die Französische Revolution: „Aufgenommen am 200. Jahrestag des Sturms auf die Bastille“, schreibt er auf das Cover einer seiner ersten Alben. Damals spielt er noch bei der Band Bastro, die als Antithese zu dem Ende der Achtzigerjahre so verbreiteten Grunge-Stil gilt. Legendär ist ihre Fähigkeit zu toller Wildheit in streng begrenzter Form. Bastro machen Bilderstürmermusik. Rock ist das nur noch der Instrumentierung nach. Grubbs komponiert stakkatohafte Songs; schroff und nüchtern klingen sie auch heute. Ein Kritiker vergleicht die Musik von Bastro mit dem Werk von Paul Hindemith.

Anfang der Neunziger verabschiedet sich David Grubbs einstweilen vom Bandgedanken und zieht nach Chicago, um fortan in wechselnden Konstellationen mit Musikern wie Jim O’Rourke unter dem Namen Gastr Del Sol müheloser vorwärts zu kommen. Die unterschiedlichen musikalischen Sozialisationen der Beteiligten tragen dazu bei, dass Gastr Del Sol einige bemerkenswerte Alben gelingen. Der komische Begriff Postrock ist noch gar nicht erfunden, da geht die Reise von David Grubbs weg von der Songform hin zu E-Musik, freier Improvisation oder elektroakustischen Experimenten. Nichts wird dabei dem Zufall überlassen. Trotzdem hält Grubbs losen Kontakt zum Rock ’n’ Roll, spielt gelegentlich als Sessionmusiker, beginnt eine Freundschaft mit dem Künstler und Musiker Mayo Thompson und reaktiviert dessen Kunstprojektband The Red Krayola.

Seit der Auflösung von Gastr Del Sol, 1998, segelt David Grubbs unter eigener Flagge und hat inzwischen drei Soloalben veröffentlicht. Geblieben ist dabei die große stilistische Wucherungsbereitschaft. Das Formenhaft-Begrenzte im eigenen musikalischen Schaffen tritt noch prägnanter in Erscheinung als früher. „Ich kann versuchen, spontane Sachen zu komponieren“, erklärt er, „meine Musik als Ganzes ist aber sehr überlegt. Mein Körper funktioniert nun mal nicht so, dass ich spontan etwas anders machen könnte.“

Für seine neue Platte „Rickets & Scurvy“ (Fat Cat/Hausmusik) gibt es zwei überraschende stilistische Ordnungsstränge. Zum einen hat sich Grubbs nach langer Abstinenz wieder für Songarrangements entschieden. Sie sind für eine Bandbesetzung komponiert. Nach zahlreichen Konzerttourneen, allein mit der Akustischen, greift er zur E-Gitarre und lässt sich (auch live) von Bass, Gitarre und Schlagzeug begleiten. Außerdem kollidiert Grubbs’ Songwriting auf „Rickets & Scurvy“ mit abstrakten elektronischen Miniaturen. Seine impressionistischen Gitarrenlicks tauchen dabei ein in einen Mahlstrom aus Zirpen und Knistern. „Die Herausforderung war, wie man diese Beiträge in den Gesamtsound einfügt, ohne völlig zum Bestandteil der elektronischen Musik zu werden.“ Als Soundquelle dient Grubbs ein alter analoger Moog-Synthesizer, auf dem er virtuos improvisiert. Einzelne Teile dieser Improvisationen hat er dem Westcoast-Elektronik-Duo Matmos zur Nachbearbeitung überlassen.

Mit „Rickets & Scurvy“ betritt David Grubbs aber auch in textlicher Hinsicht Neuland. Von jeher sprengten seine Texte den gebräuchlichen Rock-Wortschatz. Schon immer bugsierten seine eigenwilligen Phrasierungen die unorthodoxe Poesie in einen offenen musikalischen Raum. Zwei der Songs auf „Rickets & Scurvy“ sind nun aber zusammen mit dem amerikanischen Schriftsteller Rick Moody („Der Eissturm“) entstanden. Moody geht methodisch und diszipliniert vor. Er verfasste Strophen und Reimschemen, die in Silbenlänge und Metrik mit Grubbs’ informellen Schreibweisen übereinstimmen. Zusammengehalten wird dieses merkwürdige experimentelle Puzzle von der Musik. Die Band ist es, die Grubbs’ Kompositionen mit leidenschaftlich rockistischer Eleganz interpretiert.

Bei den Aufnahmen hätten sie sich vor allem über Filme, bildende Kunst und Bücher unterhalten, um die Aura der Musik nicht zu stören, berichtet David Grubbs. Das Cover von „Rickets & Scurvy“ ziert denn auch eine Fotografie des belgischen Künstlers Marcel Broodthaers. So wie Broodthaers, der vor seiner Künstlertätigkeit auch als Schriftsteller, Reporter und Fotojournalist arbeitetete, hat auch David Grubbs bereits eine Vielzahl von Tätigkeiten im künstlerischen Bereich ausgeübt. Generell fühlt er sich an den Rändern von amerikanischem Hipstertum und europäischem Denken am besten aufgehoben. Das verschafft ihm Geistesfreiheit, die Grubbs auf der Bühne allerdings nicht mit umstürzlerischem Eifer, sondern coolem Rock-’n’-Roll-Gestus performt. Und das 213 Jahre, drei Monate und 22 Tage nach dem Sturm auf die Bastille.

Tournee: 9. 10. Marburg, 10. 10. Hamburg, 11. 10. Berlin, 12. 10. Dresden, 16. 10. München