: kein datum für verhandlungen
Der älteste Kandidat
Wenn die EU-Kommission heute ihren Bericht über politische und wirtschaftliche Fortschritte in den dreizehn Ländern vorlegt, die der EU beitreten wollen, muss die Türkei ein weiteres Mal das Aschenputtel spielen. Zehn der Kandidaten werden nach Einschätzung der Kommission bis zum Gipfel im Dezember in Kopenhagen alle Beitrittsbedingungen erfüllen können. Bulgarien und Rumänien haben sich auf eine längere Wartezeit eingerichtet. Die Türkei aber hofft weiter vergeblich, dass wenigstens ein Datum genannt wird, zu dem die Verhandlungen überhaupt beginnen. Mit ihrem seit 15 Jahren vorliegenden Antrag ist sie derzeit das älteste Kandidatenland.
Mit einer Milliarde Euro jährlich, so meldeten Zeitungen, wolle sich die EU von ihrem Beitrittsversprechen gegenüber der Türkei freikaufen. „Der größte Unsinn, den ich seit langem gehört habe“, kommentierte Erweiterungskommissar Günter Verheugen. Tatsächlich ist die Summe zu hoch gegriffen. 150 bis 160 Millionen Euro jährlich soll das Kandidatenland zusätzlich erhalten – damit würde sich der Betrag für 2003 aber immerhin verdoppeln.
Vorbeitrittshilfen statt Beitrittsverhandlungen – für die proeuropäischen Kräfte in Ankara ein schwacher Trost. Denn am 3. November wird ein neues Parlament gewählt. Während die EU-Kommission in Richtung Slowakei vor den Wahlen ermutigende Signale sandte, um Proeuropäer zu stärken, übt sie bei der Türkei gerade mit Blick auf den 3. November Abstinenz.
Vor „negativen Auswirkungen auf die öffentliche Meinung“ warnte der türkische Außenminister Sükrü Sina Gürel, falls deutlich werde, dass die EU-Chefs in Kopenhagen wieder nicht sagen, wann Verhandlungen beginnen. Zu Hause muss Gürel genauso um seinen Einfluss fürchten wie sein nach Europa orientierter Vorgänger Ismael Cem, dessen Partei wohl an der Zehnprozenthürde scheitern wird.
Die innenpolitische Lage in der Türkei rührt die EU wenig. Nur der Druck aus den USA hindert sie daran, noch offener zu sagen, dass sie Verhandlungen am liebsten auf unbestimmte Zeit verschieben würden. Eine stabile, wirtschaftlich florierende und demokratische Türkei sei für alle von Vorteil, mahnte der US-Diplomat Tom Weston kürzlich in Brüssel. Die USA wollen einen der wichtigsten Verbündeten gegen den Irak bei Laune halten. DPS
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