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Spezialisten statt Kanonenfutter

Warum die Grünen mit ihrer Position zur Wehrpflicht gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen

Verlässlichkeit ist ein hohes Gut, gerade angesichts einer Welt im Aufruhr. Wie beruhigend, dass es die Diskussion über die deutsche Wehrpflicht gibt. Die verläuft seit Jahren entlang vertrauter Frontlinien – gerade so, als habe in den letzten Jahrzehnten keine irgendwie nennenswerte Entwicklung stattgefunden. Die Generalität ist dafür und die versprengten Reste der Linken und der Friedensbewegung sind dagegen. Letztere werden sich also über die Ankündigung freuen, dass die rot-grüne Koalition in der kommenden Legislaturperiode das Prinzip der Wehrpflicht überprüfen will.

Die Grünen können das durchaus als Verhandlungserfolg für sich verbuchen. Immerhin waren sie die erste und lange Zeit hindurch die einzige Partei, die eine Abschaffung der Wehrpflicht forderte – damals noch gestützt auf ihre friedenspolitischen Wurzeln. Allerdings war in den Gründerjahren der Partei ein Bedrohungsszenario durchaus realistisch, in dem die Panzerbataillone der beiden damals herrschenden Weltmächte aufeinander trafen, womöglich sogar auf deutschem Territorium. Ein Szenario, in dem mithin sowohl die Truppenstärke als auch die Zahl der verfügbaren Reservisten eine bedeutende Rolle in den Überlegungen von Militärstrategen spielten.

Das hat sich geändert. Soldaten werden heute nicht mehr als Kanonenfutter angeworben, sondern um sie zu möglichst guten Spezialisten ausbilden zu können. In den Kriegen der Gegenwart sterben überwiegend Zivilisten. Der Computer gewinnt gegenüber der Infanterie beständig an Bedeutung. In der überschaubaren Zukunft werden die Kriege der Nato nicht in zermürbenden Stellungsgefechten bestehen, sondern in schnellen Schlägen gegen militärisch hoffnungslos unterlegene Gegner. Die sich demzufolge im Gegenzug mehr und mehr Fähigkeiten auf dem Gebiet des Guerillakampfes aneignen dürften.

Dieses neue Szenario verschiebt (auch) den Stellenwert der allgemeinen Wehrpflicht. Lustlose Wehrpflichtige, die nichts können und viel Geld kosten, mögen als potenzielle Reservisten in Panzerschlachten nützlich sein. Auf dem Weg zu einer Interventionsarmee sind sie allenfalls hinderlich.

Vor diesem Hintergrund können die Grünen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Einerseits lässt sich mit der Ablehnung der Wehrpflicht denjenigen gegenüber Prinzipientreue demonstrieren, die der Partei die parlamentarische Zustimmung zu Angriffskriegen nach wie vor übel nehmen. Zugleich zeigen die Grünen ihre Bereitschaft, an einer Modernisierung der Bundeswehr mitzuwirken. Eine win-win-situation.

Die Haltung der Generalität ist ebenso leicht erklärlich. Je größer die Streitkräfte, desto mehr Offiziere werden gebraucht. Eine Abschaffung der Wehrpflicht hätte unweigerlich einen Beförderungsstau bei der Bundeswehr zur Folge. Das ist nicht gut für die Stimmung in der Truppe.

Darüber hinaus erleichtert die Wehrpflicht die Suche nach qualifiziertem Nachwuchs. Und schafft Planungssicherheit. Warum sollte die militärische Führungsspitze ihre Position also überdenken?

Schwerer haben es die Volksparteien. Mit der Abschaffung der Wehrpflicht wäre unweigerlich auch die Schließung von Standorten verbunden – mit nur mühsam kalkulierbaren Folgen für die Wirtschaftslage der jeweiligen Kommunen und überaus leicht kalkulierbaren Folgen für abstrafendes Wählerverhalten. Hinzu kommt, dass ein derart grundlegender Umbau der Streitkräfte zumindest einer Anschubbfinanzierung bedürfte. Derzeit ist jedoch nicht einmal der laufende Etat der Bundeswehr gesichert.

Vieles spricht daher dafür, dass die Koalitionsvereinbarung lediglich die prinzipielle Bereitschaft zu einem Systemwechsel signalisiert – die Konsequenzen dieser Bereitschaft aber bereits jetzt in die nächste Legislaturperiode hinein vertagt werden sollen. BETTINA GAUS

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