Böser Bube darf wieder in den Ring

Dem Profiboxer Jürgen Brähmer winkt eine große Karriere – wenn er seinen Hang zu Haftanstalten bändigen kann

SCHWERIN taz ■ Wie jeden Tag fuhr Jürgen Brähmer mit dem Auto von Schwerin zum Training nach Hamburg. Wie jeden Tag ohne Führerschein, denn den besitzt er nicht. Sicher war dies auch ein Grund, warum er sich aus dem Staub machte, als er auf ein Auto auffuhr. Doch der betroffene Verkehrsteilnehmer war hartnäckig und folgte ihm. Brähmer bog verkehrsunkundig in eine Sackgasse, da stellte ihn der zornige Verfolger. Versperrte ihm den Weg und lag Augenblicke später besinnungslos auf dem Kantstein. Sein Gegenüber, Profiboxer Jürgen Brähmer, hatte ausgeholt. Bis Dienstag saß er deshalb in der JVA Bützow.

Auf Kaution ist der 24-Jährige nun frei. Das ZDF konnte aufatmen. Super-Mittelgewichtler Brähmer soll am Sonnabend in Schwerin im Rahmen des ZDF-Boxabends gegen den Argentinier González internationaler Meister werden. Sein Boxstall Universum wird nicht minder nervös gewesen sein. Hier kokettiert man mit Brähmers Böse-Buben-Image, ist aber bemüht, den Strafvollzug nicht zu sehr zu seinem Markenzeichen werden zu lassen. 1999 nahm Promoter Klaus-Peter Kohl den Boxer unter Vertrag, noch während dieser eine zweijährige Haftstrafe absaß. Wegen Schlägereien und Autoklau. Dadurch verpasste er die Olympischen Spiele 2000 in Sydney.

Ein Boxer, der 1996 als einziger Europäer auf Kuba Juniorenweltmeister wurde. In allen anderen Gewichtsklassen siegten die Kubaner. Auch in der Bundesliga beim Schweriner SC blieb er ungeschlagen. Einmal besiegte er mit gebrochener Führungshand den Europameister. Im Dezember 1999 hatte Brähmer seinen ersten Profikampf. Als Freigänger, acht Monate vor seiner Entlassung. Er gewann, wie auch die 22 folgenden Kämpfe. Zwanzig davon durch K.o. Eine Boxergeschichte, wie aus dem Nähkästchen, die zur Legende taugt. Klaus-Peter Kohl sicherte sich bereits die Film- und Buchrechte. Doch taugt dieser Jürgen Brähmer zum Champion? Der Jahrhundertboxer ist ein Junge von der Straße. Isst mittags im Grill-Imbiss Hähnchen und Pommes mit den Fingern. Er trägt keinen Doktortitel und ist erst recht kein Gentleman. Als eines von fünf Kindern wuchs er in Stralsund bei seiner allein stehenden Mutter auf. Einer, der über seine einstigen Boxkollegen sagt: „Ich war der Einzige, der durchgezogen hat. Die anderen sind jetzt Fliesenleger und so’n Scheiß.“ Dass er am Sonnabend kämpfen würde, daran hat er nie gezweifelt.

Zweifel hat nur einer. „Auch Jahrhunderttalente haben eine begrenzte Laufzeit“, sagte sein Trainer Michael Timm, als er von Brähmers Verhaftung hörte. Er holte Brähmer bei dessen erster Haftstrafe zurück zum Boxen. Besuchte ihn zweimal die Woche mit einem Sandsack. Veranstaltete für zwölf Häftlinge einen „Anti-Aggressivitäts-Kurs“, nur um Brähmer trainieren zu können. „Wenn ich hier raus bin, will ich viel Geld verdienen, auf einem Bauernhof leben, einen guten Wagen und eine Familie haben“, sagte Brähmer ihm damals.

Timm kennt ihn schon aus den Jahren beim Schweriner SC. Damals weckte er ihn und seine Kollegen immer persönlich zum Training. Allein wären die „Partylöwen“ nicht aufgewacht. Es war der erfolgreichste Jahrgang, den Schwerin je hatte. Die fälligen Meisterschaftsprämien zahlte Timm aus eigener Tasche, da der Verein klamm war.

„Im Boxen falle ich auf gepolsterten Boden“, sagte er einmal auf die Frage, warum er sich für den Faustkampf entschied. Der Boden draußen auf der Straße ist hart, aber wer sagt eigentlich, dass ein guter Boxer auch ein guter Mensch sein muss.

DIRK BÖTTCHER