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„Wir sind keine Rebellen“

aus Pogo HAKEEM JIMO

Neben der eingeklappten Maschinenpistole liegen bunte Plastikblumen auf dem Tisch. Was die drei Soldaten damit wollen, ist unklar. Aber immerhin passen die Blumen zum Job ihrer Vorgänger. Denn bis vor rund drei Wochen, bevor es zu dem Armeeaufstand in der Elfenbeinküste kam, war in dem Häuschen die Jagd- und Forstbehörde untergebracht. Jetzt dient es den Rebellen als Grenzstation, hier in Pogo an der Grenze zum Nachbarland Mali. Nicht nur die Blumen auf dem Tisch passen nicht zu der Vorstellung, die man von Deserteuren und Rebellen haben könnte: disziplinlose, womöglich plündernde Gesellen – von wegen. Es sind gewöhnliche Soldaten in Uniform, und vom Durchreisenden wollen sie weder Geld noch sonst irgend etwas.

Die Menschen in Pogo loben die Rebellen. Sie hätten anscheinend Geld, pressten Zivilisten nichts ab und bezahlten stets beim Einkaufen. Die Region um Pogo gehörte zu den ersten Gebieten, die zu Beginn der Militärrevolte in der Elfenbeinküste am 19. September unter die Kontrolle desertierender Soldaten geriet. Als klar war, dass die Metropole Abidjan nicht sofort den Putschisten zugefallen war, sicherten die Rebellen erst einmal das Hinterland. Nun beherrschen sie die Hälfte des Landes. Ihre Hochburg Korhogo ist nur wenige Autostunden von Pogo entfernt. Bei der Übernahme des Ortes kam ein Mann um, erzählen Anwohner – allerdings nicht durch einen gezielten Schuss, sondern durch einen Querschläger.

Ansonsten sei der Machtwechsel in Pogo ruhig verlaufen, erinnert sich der 16-jährige Schüler Lansana, es habe keinen wirklichen Schusswechsel geben. Polizisten, Gendarmen, Grenzbeamte und Zöllner hätten sofort das Weite gesucht, als die Meuterer anrückten. Sie zogen ihre Kleidung und Uniformen aus, um nicht identifiziert zu werden. Danach hatten die Rebellen leichtes Spiel, schnell wichtige Gebäude und strategische Positionen einzunehmen.

Dennoch ließen die fliehenden Ordnungshüter anscheinend nicht alles stehen und liegen. Es fehlen am Grenzposten von Pogo Ein- und Ausreisestempel. Dass die Grenze nach Mali geschlossen ist, wie die amtierende Regierung im Süden des Landes verlauten ließ, ist falsch. Die malische Seite wurde nie gesperrt, und auch die Rebellen lassen den Grenzverkehr passieren.

Der Jungsoldat ist nervös

Etwas weiter ortseinwärts, am Zollhaus, steht ein junger Rebell Wache. Er sagt, er sei Mitte 20. Seine Pistole hält er in der Hand, obwohl er eine kleine Tasche am Gürtel hängen hat. Der hochgewachsene und schlanke Mann sagt, er sei ursprünglich aus Abidjan und gehöre zu einer der dort beheimateten Ethnien. Er wirkt ein wenig verunsicherter als seine älteren Kollegen am Grenzhäuschen. „Wenn ich kämpfen muss, werde ich es tun“, sagt er. „Die Politik der Regierung ist ungerecht.“ Dabei lässt der junge Rebell seinen Blick über den Platz schweifen und wippt etwas nervös auf dem Stuhl, als ob er sich nicht ausmalen mag, was noch passieren könnte.

Aber im nächsten Moment läuft er entschlossen über den Platz und fordert zwei Motorradfahrer auf, stehen zu bleiben. Denn die Aufgabe des jungen Soldaten ist es, die Ordnung sicherzustellen. „Keiner soll von dieser Situation profitieren – es geht um mehr, als nur ein paar Kartons zu klauen“, sagt er. Einige sind mit ihm gerannt, traditionelle Jäger, wie es sie überall im Norden der Elfenbeinküste unter dem Namen „Dozos“ gibt. Das sind Männer verschiendenen Alters in erdfarbenen Kutten, behängt mit Medizinbeutelchen und urtümlichen Flinten. Mit diesen traditionellen Sicherheitskräften haben sich die Deserteure zusammengetan, um die Region unter Kontrolle zu kriegen – eine Kooperation, wie sie häufig aus Rebellengebieten des Landes berichtet wird.

Zusammen bewachen Soldaten und Jäger das große Zollwarengebäude von Pogo. Falsch deklarierte Ware wie importierte Lebensmittel und elektronische Geräte steht herum. Einige Reisende hatten ihre Güter wegen der Wirren zurückgelassen. Zu Plünderungen kam es in den Tagen des Machtwechsels in der Region nur vereinzelt bei Privatpersonen und nur am Anfang.

Schließlich kommt auch der Kommandeur des jungen Wachsoldaten. Der etwa 40-Jährige macht einen bescheidenen Eindruck, nicht voll gefressen wie manche andere Funktionärssoldaten. Ohnehin wird hier eher spartanisch gelebt. Einige Rebellen essen einfachen Hirsebrei aus kleinen Schälchen. Wenn man den Magen immer etwas hungrig hält, soll das die Kampfleistung verbessern.

Die Augen des Chefs zeugen von Entschlossenheit. „Es ist Präsident Gbagbo, der das Land spaltet, nicht wir. Er lügt unentwegt und verbreitet Propaganda. Wir sind die reguläre ivorische Armee“, sagt er. Auch er will nicht namentlich genannt werden. „Wir wollen nur, dass Gbagbo und seine Minister verschwinden. Das ist keine Demokratie. Und es war damals keine faire Wahl.“

Gemeint ist die Präsidentschaftswahl vom Oktober 2000, bei der Laurent Gbagbo gegen den Militärherrscher Robert Guei gewann – allerdings durfte damals der populärste Politiker des Nordens, Alassane Ouattara, nicht antreten.

Die Lage in der Armee sei schlimm, fährt der Kommandant fort. Seit drei Jahren würden die Soldaten nicht bezahlt, dabei hätten sie Familien zu versorgen. Präsident Gbagbo gehe arrogant mit den Problemen eines Großteils der Bevölkerung um. „Eines verspreche ich dem Präsidenten“, sagt er: „Ich werde bis zum Schluss kämpfen.“ Neben Entschlossenheit klingt darin aber auch etwas Verzweiflung mit.

Die Einwohner warten ab

Die dabeistehenden Waffenbrüder stimmen ihrem Chef zu. „Keiner von uns kommt aus dem Norden des Landes“, betont dieser. „Wir sind Südivorer – also keine Rede von Norden gegen den Süden. Wir sind keine Rebellen, sondern Loyalisten.“ Abspaltungspläne scheinen sie nicht zu haben. Patriotisch hissen sie am Grenzposten jeden Morgen die ivorische Staatsflagge.

Die Bürger Pogos warten ab, wie sich die Lage entwickelt. Sie bewegen sich frei, aber die meiste Zeit sitzen sie in Gruppen herum und reden. Nach ihrer Meinung gefragt, verweigert die Besitzerin eines Getränkeladens die Antwort. Wahrscheinlich hat sie Angst, weil sie nicht weiß, ob ihre Abstammung nicht doch noch zu Problemen führt, falls der Krieg nach Pogo kommt. Da will sie jetzt nicht noch eventuelle Vorurteile schüren.

Viel zu tun gibt es in Pogo nicht mehr. Der Güter- und Personentransport zwischen Mali und der Elfenbeinküste, von dem der Ort sonst lebt, ist nahezu zum Erliegen gekommen. Nur noch leere Lastwagen fahren vom Hafen in Abidjan Richtung Norden. Da Mali sonst zu einem Großteil mit Produkten und Waren versorgt wird, die aus der Elfenbeinküste direkt kommen oder über den Hafen in Abidjan importiert werden, kommt es seit der Krise in der Elfenbeinküste zu Engpässen auf der malischen Seite, zum Beispiel bei Treibstoff. Auch von ersten Lebensmittelknappheiten berichtet ein malischer Radiosender. Dazu könnte eine Flüchtlingskrise kommen, sollten sich die Kämpfe in der Elfenbeinküste verstärken oder die Ausschreitungen gegen westafrikanische Einwanderer im Regierungsgebiet zunehmen.

Noch haben die UNO oder Hilfswerke an der Grenze noch keine großen Aktivitäten entfaltet, es ziehen keine Flüchtlingstrecks in der Region herum. Auf der malischen Seite, im Grenzort Zegoua, sind ein paar Camps eingerichtet, keine Zeltlager, denn bislang reichen Hallen und andere Räume. Es gibt hier wohl ein paar hundert Flüchtlinge. Aber noch beherrschen sie nicht das Straßenbild. Das Oberkommissariat aus der malischen Regionalhauptstadt Sikasso registriert die Ankommenden und leitet sie in die Flüchtlingsstationen.

Die Flüchtlinge in Mali

Manche Flüchtlinge aus der Elfenbeinküste haben privat Unterkunft gefunden. „Ich verkaufe normalerweise Damenschuhe in Ouangolo, rund zwei Autostunden von hier“, erzählt der Nigerianer Peter Okocha. „Die Stimmung schlug um, als Meldungen kamen, dass die nigerianische Regierung Militärhilfen und Kampfflugzeuge zur Unterstützung nach Abidjan geschickt hatte.“ Da machte sich Okocha auf die Flucht, zusammen mit anderen afrikanischen Ausländern. „Die Menschen im Dorf sagten, wenn die Rebellen kommen, werden wir zwangsrekrutiert und an die Front gegen unsere eigenen Landsleute geschickt, damit wir wenigstens zu etwas nütze sind. Das machte uns Angst, und wir sind Hals über Kopf geflohen, als Vertreter des Ortes nicht mehr für unsere Sicherheit bürgen wollten.“

Seine aus Togo stammende hochschwangere Frau ließ er zurück. Sie wollte sich die Reise nach Mali nicht zumuten. Mittlerweile hat er die Nachricht, dass sie gesund ist und einen Jungen auf die Welt gebracht hat. Nun ginge er gerne zurück. In Mali kann er sowieso nicht lange bleiben. Die Flüchtlinge aus der Elfenbeinküste konnten kein Geld mitnehmen, das auf Konten ivorischer Banken lag.

Vom letzten Geld hat sich Peter Okocha eine kleine Ausrüstung zum Schuheputzen gekauft, aber er findet keine Kundschaft. Nun läuft er durch Zegoua mit seiner Bibel in der Hand, auf der Suche nach einer Lösung. Er will zurück über die Grenze. Was ihn dort erwartet, weiß er genauso wenig wie die Rebellen in Pogo.

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