Gastarbeiter im Land der Kälte

Jointventure der Arbeitsämter: Bauarbeiter werden nach Norwegen gelockt – mit hohen und pünktlichen Löhnen

Um die Eigenheiten ihrer Heimat zu beschreiben, erzählt Carmen Dahl, wie sie im Winter die Post reinholt. Dann stehen ihr die frisch gewaschenen Haare zu Berge. Minus 16 Grad schockfrosten ihr dunkles Haar in Sekunden. Ihre Zuhörer, etwa 200 Bauarbeiter und Automechaniker, denen die Beraterin vom Europäischen Arbeitsamt Eures gestern einen Job in Norwegen schmackhaft machen wollte, fanden das gar nicht lustig.

Geduldig beantwortete Dahl nach ihrem Vortrag zahllose Fragen. „Muss ich mir ein Zimmer mit Kollegen teilen?“ – „Kann meine Familie auch mit?“ – „Wie hoch ist der Lohn?“ In großem Bogen standen – Bewerbungsmappe unter den Arm geklemmt – Rohrleger, Trockenbauer und Zimmerleute um sie herum und wollten wissen, wie es ist, in Norwegen zu leben und zu arbeiten. Dort floriert die Baubranche. In Berlin liegt sie danieder.

Laut Bundesanstalt für Arbeit sind hier über 16.600 Bauarbeiter ohne Job. Mehr als 1.100 Interessierte kamen ins Estrel-Hotel in Neukölln zu einer gemeinsamen Jobbörse der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) Deutschland und der Norwegischen Arbeitsverwaltung. Viele können sich vorstellen, in Norwegen zu arbeiten – für einige Monate, oder für immer.

Die einen lockt das Geld, andere wollen einen Neuanfang wagen, weil es für sie in Berlin keine Zukunft gibt. Alex und Anett Ebel kamen zu der Jobbörse, weil sie sich in Berlin nur „schlechte Chancen“ ausmalen. Sie gehören zu den sechzig, die von der international vermittelnden Zeitarbeitsfirma adecco noch am Vormittag interviewt wurden. In zwei Wochen wissen sie, ob wenigstens Alex einen neuen Job hat. Klappt es, wird Ebel zunächst einmal zehn Wochen lang Norwegisch lernen – finanziert vom hiesigen Arbeitsamt oder vom künftigen Arbeitgeber. Schon zum Jahreswechsel könnte er als Maurer in Oslo, Bergen oder Trondheim arbeiten. Wird es eine dauerhafte Anstellung, zieht seine Frau Anett mit Sohn Marvin nach, um „ein neues Leben anzufangen“.

Viele Besucher kamen ohne Hoffnung. Ein Grüppchen Architekten fand sich schnell zusammen. Vermittlungschancen gleich null, überqualifiziert. Nur Wladimir Filatow, Architekt aus Weißrussland, spekuliert auf einen Job. Er hat eine Baufacharbeiter-Ausbildung und würde auch wieder auf einer Baustelle arbeiten.

Maurer und Trockenbauer Gert Liebke kam nur aus Neugier. Er ist unzufrieden mit den Arbeitsbedingungen in Berlin, Jobs gebe es zwar, „es will nur niemand dafür bezahlen“. Seine Familie und Freunde will er aber nicht verlassen und wird deshalb auch nicht nach Norwegen ziehen, obwohl dort etwa das Vierfache des hier üblichen Gehalts bezahlt wird.

Vom vergleichsweise fetten Lohn will auch ein Trio etwas abbekommen, das zwar schon im südnorwegischen Kristiansand Häuser hochzieht, deren deutscher Arbeitgeber sie aber nur nach deutschem Niveau entlohnt. Der Drei-Mann-Bautrupp auf Urlaub zog gestern extra nach Berlin, um Kontakt zu norwegischen Firmen aufzunehmen. Carmen Dahl konnte ihnen allerdings nicht helfen, sie sollten besser in Oslo direkt bei einer Firma vorsprechen.

HANNO CHARISIUS