: Endlich etwas Neues riskieren
Heinz-Elmar Tenorth, Vizepräsident der Humboldt-Universität, im Interview zur Reform der Lehrerausbildung
taz: Ist die derzeitige Lehrerausbildung so schlecht wie ihr Ruf?
Heinz-Elmar Tenorth: Die Lehrerbildung ist ineffektiv und dauert zu lang. Studien wie Pisa haben gezeigt, dass unsere Ausbildung einen stark lehrerzentrierten Unterricht begünstigt, und dass die Lehrer in der Beurteilung ihrer Schüler absolut versagen. Der Unterricht ist nicht modern, es wird nicht problemorientiert gelehrt. Aber wir haben keine gesicherten Daten, ob dies nur an der Lehrerbildung oder nicht auch an der Kompetenz der Lehrer oder an der Lehrertätigkeit an sich liegt. Es gibt zu wenig Lehrerforschung.
Gibt es erfolgreiche Modelle, an denen sich das Berliner Reformkonzept orientieren wird?
Es laufen in einigen Bundesländern derzeit unterschiedliche Reformversuche an. Wir können noch nicht von deren Erfahrungen schöpfen. Da gibt es den schönen Kalauer: „Man tauscht Zustände mit bekannten Nachteilen gegen Zustände mit unbekannten Nachteilen.“ Aber das Schlechte fortzuschreiben, wäre überhaupt nicht gerechtfertigt. Wir müssen endlich etwas Neues riskieren.
Was für eine Ausbildung erwartet den zukünftigen Lehrer?
Wir haben zwei Wege in das Lehramt definiert. Das eine ist der siebensemestrige Bachelor mit anschließendem Referendariat, der zweite Weg ist konsekutiv. Zuerst Bachelor, dann aufbauend in zwei bis vier Semestern ein Master mit darauf folgendem Vorbereitungsdienst. Jedes Studienfach hat ein Kerncurriculum, das jeder Student in einer Anzahl an Modulen durchläuft. Wenn jemand zusätzlich eine definierte Anzahl an fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Modulen erworben hat, wird er zum Referendariat zugelassen. Die Lehrerbildung soll einschließlich Referendariat nur noch fünf bis sechs Jahre dauern.
Wird es endlich praxisnäher zugehen?
Wenn wir bei der Ausbildung auf einen Richtwert von 20 Prozent mit berufswissenschaftlichen Bezug kämen, fände ich das vernünftig. Das wird allerdings ein strittiger Punkt in den Facharbeitsgruppen sein, wie sich die Fachwissenschaftler und Didaktiker einigen. Unsere Mathematiker haben freiwillig einen Teil ihres Stellenkontigents den Fachdidaktikern angeboten.
Die Reform sieht eine stärkere Verzahnung von Studium und Referendariat vor. Wie soll das ausgestaltet werden?
Wir wollen einen Teil der Inhalte, die heute im Referendariat nachholend gelehrt werden, schon während des Studiums durch Module mit berufswissenschaftlichen Inhalten abdecken. Die ausbildenden Kollegen der zweiten Phase bekommen bei uns Lehraufträge und betreuen auch die Schulpraktika. Die Professoren haben ihrerseits die Chance, mal wieder an eine Schule zu kommen und sich ein lernendes Kind anzusehen.
Man will die Lehrerfortbildung verpflichtend einführen. Ist das sinnvoll?
Im Berliner Lehrerbildungsgesetz gibt es schon die Pflicht zur Fortbildung, aber niemand regelt dies. Ein Großteil der Lehrer agiert mit dem Hochschulwissen und den Erfahrungen aus dem Referendariat bis zum Ende des Berufslebens. Das geht nicht. Wer seine Kompetenzen ausbaut, soll eine bessere Berufsperspektive haben als jemand, der sich nicht fortbildet.
Derzeit wird kräftig an Berliner Schulen reformiert: Projekte wie die Pädagogische Schulentwicklung (PSE) sind erfolgreich. Was halten Sie davon?
Wenn Schulen und Lehrerkollegien ihre Reformbereitschaft entdecken, sich in Gruppen fortbilden und den Unterricht verbessern, ist das mehr als vernünftig. Doch keiner kann versprechen, dass sich dadurch die Berufsrealität entscheidend verbessert. Das wichtigere Element ist das Lernen im Beruf und im Kollegium. Die Strukturen, die wir nun verändern, müssen sich im Berufsalltag fortentwickeln. Sonst scheitert die Reform.
INTERVIEW: VERENA MÖRATH
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