piwik no script img

Kein Noteingang in Marzahn

Nach einem rassistischen Angriff in Marzahn weigert sich ein Straßenbahnfahrer, Hilfe zu holen, und fährt davon. Dabei wirbt die BVG mit „Aktion Noteingang“-Aufklebern

Die gelben Aufkleber „Wir bieten Schutz vor rassistischen Übergriffen“, mit denen die BVG sich seit einem Jahr flächendeckend an der „Aktion Noteingang“ beteiligt, sind auch an der Straßenbahn der Linie 18 nicht zu übersehen. Für Gabriele N. (Name der Redaktion bekannt), Mutter einer 22-jährigen afrodeutschen Tochter, signalisierte der Aufkleber an der Straßenbahntür am vergangenen Dienstag die ersehnte Hilfe.

Gegen 21 Uhr war ihre schwarze Tochter Angelika N. an der Straßenbahnhaltestelle Springpfuhl auf dem gemeinsamen Nachhauseweg von drei Jugendlichen zunächst rassistisch beleidigt und dann tätlich angegriffen worden. Einer der Angreifer schlug die 22-jährige Studentin mit der Faust mehrfach ins Gesicht und drohte: „Ich bring dich um, du Afrikanerfotze!“ Als Gabriele N. daraufhin den Fahrer einer gerade an der Haltestelle einfahrenden Straßenbahn der Linie 18 durch das geöffnete Fahrerfenster ansprach und bat, die Polizei zu rufen, geschah das für sie Unfassbare: Der Mann schloss die Türen, die Straßenbahn fuhr davon. Auch beim nächsten Versuch, Hilfe zu bekommen, blitzte die Mutter ab. Ein Passant antwortete auf die Frage, ob er per Handy die Polizei verständigen könne, mit Nein.

Angelika N. erlitt bei dem Angriff Jochbein- und Kieferprellungen. Sie berichtet, dass sie dem Trio schon am Vorabend auf dem S-Bahnhof Springpfuhl begegnet war. Die rassistischen Beleidigungen wie „Negerhure“ habe sie jedoch „schlicht nicht ernst genommen“, obwohl einer der Jugendlichen versucht hatte, ihren Rucksack anzuzünden, als sie an der Gruppe vorbeiging.

Als Angelika N. dann am Dienstagabend in Begleitung ihrer Mutter auf die gleiche Gruppe stieß, reagierten die sofort: „Da ist doch die Afrikanerfotze von gestern“ ist die Beleidigung, die Angelika N. im Gedächtnis blieb. Dann sei der Älteste, ein „zirka 18-Jähriger, der wesentlich größer und kräftiger war als ich“, drohend auf sie zugekommen. Der Versuch, den Angreifer mittels eines Selbstverteidigungsfußtritts auf Distanz zu halten, scheiterte. „Ich hatte sofort seine Faust im Gesicht.“

Für die junge Frau war es nicht das erste Mal, dass sie am S-Bahnhof Springpfuhl Opfer rassistischer Gewalt wurde. Im Herbst 1997 war sie vor den Augen mehrerer Passagiere in einem S-Bahn-Waggon von 15 Skinheads zusammengetreten worden. Im August 2000 waren es dann „drei ganz normale junge Männer und zwei junge Frauen“, die Mutter und Tochter in der S-Bahn-Unterführung angriffen.

Der Straßenbahnfahrer vom Dienstagabend wurde wegen unterlassener Hilfeleistung angezeigt. Gegen die unbekannten Täter wird wegen Körperverletzung ermittelt. Polizeibeamte haben Angelika N. geraten, sie solle die Morddrohungen der Angreifer ernst nehmen. Wie sie sicher vom S-Bahnhof Springpfuhl nach Hause kommen soll, weiß die Studentin trotzdem nicht. HEIKE KLEFFNER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen