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Geisterbahn mit Feldküche

Von der wenig schneidigen Vorstellung beim 1:1 auf der Truppenbetreuungsreise nach Sarajevo gegen Bosnien-Herzegowina erhofft sich Rudi Völler einen Lerneffekt für das Match gegen Färöer

von MATTI LIESKE

Der Schwindel flog spätestens gegen Mitternacht auf. Was hatten Teamchef Rudi Völler und die Funktionäre des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) vorher nicht an Süßholz verraspelt bezüglich der besonderen Mission der deutschen Fußballer, die sozusagen in den Fußstapfen der wackeren Bundeswehr nach Sarajevo reisten, um der Truppe moralischen Beistand zu leisten – wie einst Marilyn Monroe oder Rita Hayworth den amerikanischen Waffenbrüdern. Vom Besuch in der Feldküche der deutschen SFOR-Soldaten, wo sich die Vizeweltmeister gebührend feiern ließen und Kapitän Oliver Kahn ein „Superspiel“ gegen das Team von Bosnien-Herzegowina versprach, über die Verteilung von Deutschlandtrikots an die Bundeswehr, bis zur Einladung von 700 Armeeangehörigen ins Stadion funktionierte der militärische Schulterschluss auch ganz prächtig. Kein Wunder, schließlich hatte Völler seinen Mannschaftsrat vorher noch extra instruiert, dass es bei der Reise darum gehe, „Deutschland zu vertreten“, in einem Land, „wo es bis vor kurzem noch drüber und drunter ging“.

So weit, so nobel, doch die Realität war eine andere. Spätestens, als die Spieler in der Nacht nach dem Spiel am Flughafen erfuhren, dass ihre Maschine nicht kommen würde und sie zurück ins Hotel mussten, war klar, um was es tatsächlich ging. Einen echten Härtetest nämlich für das zuletzt so erfolgverwöhnte Team, einen Crashkurs über all das, was einem in den Niederungen des Weltfußballs an Grässlichkeiten widerfahren kann. Ein Stadion, in das sich außer den 700 geladenen Soldaten kaum jemand verlaufen hatte, ein Platz, den man eigentlich nur mit Schwimmflossen und Taucherbrille hätte betreten dürfen, ein unverschämter Gegner, der den hohen Besuch mit frechem Angriffsfußball quälte, und ein italienischer Schiedsrichter, der zwar noch nichts von Carsten Janckers akuter Strafraumfallsucht gehört hatte, aber dafür unversehens Doppelrot zückte, als sich Wörns und Salihamidzic einen bundesligaüblichen Austausch von Handgreiflichkeiten leisteten. Als vorweggenommene Zugabe hatte es tags zuvor an gleicher Stätte bereits ein 1:5 der U 21 gegeben, damit auch der deutsche Nachwuchs nicht zu übermütig wird.

Geschrumpfte Giganten

Trainernovize Jürgen Kohler drohte daraufhin, er werde die jungen Übeltäter „einsperren, mit einem Gitter davor“, Rudi Völler nahm die schwache Leistung beim glücklichen 1:1 wesentlich gelassener. Wenige Tage vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen die Färöer-Inseln am Mittwoch in Hannover schien ihm der Dämpfer gerade recht zu kommen. Schließlich geht es ihm seit dem verwunderlichen Einzug ins WM-Endspiel vor allem darum, zu verhindern, dass sich die alte Einteilung der Fußballwelt in Giganten (wir!) und Zwerge (die!) wieder in den Köpfen der Spieler festsetzt. „Insgesamt war es eine gute Erfahrung, dass man nur mit einer hundertprozentigen Einstellung einen solchen Gegner bekämpfen kann“, sagte Völler.

„Grottenschlecht“ sei die erste Halbzeit gewesen, urteilte der Teamchef, die zweite fand er bereits wesentlich besser. Da habe man den einen Schritt mehr gemacht, der vorher fehlte. Das galt besonders für Torhüter Jens Lehmann, der zur Pause für Kahn gekommen war und mit einer großen Parade in der Nachspielzeit demonstrierte, dass es auch noch andere Keeper im Lande gibt. Zuvor hatte nach dem Führungstor der Gastgeber durch Baljic (21.) Torsten Frings einen unberechtigten Elfmeter nach Jancker-Sturz über das Tor geschossen (36.) und Jancker selbst höchst abseitsverdächtig zum Ausgleich getroffen (56.).

„Es gibt nicht nur Sahnehäubchen“, meinte Oliver Kahn später und sah aus, als wolle er am liebsten den nächstbesten Torpfosten verschlingen. „Gegen die Färöer-Inseln werden wir ein ganz anderes deutsches Team erleben“, versprach der Teilzeittorwart. Die Hoffnungen ruhen vor allem auf der Rückkehr der Mittelfeldstrategen Hamann und Ballack, vor allem Letzterer in jüngerer Zeit ja eine Art Deus ex Machina des deutschen Teams. Auch Wörns darf trotz seines Platzverweises mittun, was nicht nur als beruhigende Nachricht gelten darf. Der Dortmunder war in der ersten Halbzeit bei den schnellen Angriffen der Bosnier genauso indisponiert wie seine Nebenleute, was Kahn zu solch gesteigerten Zornesausbrüchen trieb, dass seine Auswechslung schon aus medizinischer Sicht geraten schien.

Ein bisschen Angst

Ausdrückliches Lob zollte Rudi Völler außer dem emsigen Jancker den beiden jungen Spielern Paul Freier (VfL Bochum) und Arne Friedrich (Hertha BSC). Ansonsten hielten sich die positiven Erkenntnisse in Grenzen, sieht man vom Geisterbahneffekt in Bezug auf scheinbar leichte Kontrahenten ab. Der lahme Auftritt gegen Bosnien-Herzegowina bereitet Völler vor allem, was die langfristige Planung nach der EM 2004 angeht, Sorgen. Für die WM 2006 ist Deutschland als Gastgeber qualifiziert, und es macht dem Teamchef „ein bisschen Angst, wenn wir dann nur Freundschaftsspiele haben“. Als erste Konsequenz forderte der 42-Jährige gestern eine Südamerikareise des DFB-Teams in diesem Zeitraum. Das hätte dann auch den Vorteil, dass dort keine Feldküchen der Bundeswehr besichtigt werden müssen. Hoffen wir zumindest.

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