Weißwerdung einer Popkultur

Migrantische Anfänge, Mittelklasse-Deutschrap-Hype, Tabubrüche im Battle-Geschäft und rassistische Unterwanderung des HipHop: Murat Güngör und Hannes Loh lesen heute im Schlachthof aus ihrem Buch„Fear of a Kanak Planet“

von ALEXANDER DIEHL

HipHop ist hierzulande einem bedenklichen Wandlungsprozess unterworfen. Das ist das Resümee, zu dem Murat Güngör und Hannes Loh in ihrem neuen Buch gekommen sind. Konkreter gesprochen, geht es in Fear of a Kanak Planet – HipHop zwischen Weltkultur und Nazi-Rap um einen Prozess der Ethnifizierung. Spätestens infolge des flächendeckenden Erfolges von Die Fantastischen 4 bildete sich parallel zum bereits als subkulturelle Form vorhandenen HipHop (beziehungsweise Rap) aus Deutschland das Phänomen des „Deutschrap“ heraus; vielerorts verstanden als HipHop von und für Deutsche.

„Was deutschem HipHop fehlt, ist, dass die Schicht, denen das eigentlich gehört, dazu etwas sagen.“ Dieses Zitat von dem Berliner Rap-Duo Da Force formuliert die Kritik, die Güngör und Loh an ihren Befund anschließen. Die, „denen das gehört“, waren zu Anfang, in den 80er und frühen 90er Jahren, eben in der Hauptsache Menschen mit migrantischem Hintergrund. Seitens der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft marginalisierte Jugendliche nutzten als Erste die aus den USA herüberdringenden und teilweise durchaus mit Interesse beäugten Praktiken Breakdance und Rap, DJing und Graffiti zur Artikulation und Selbstdarstellung. Die damalige „kulturelle und soziale Integrationskraft von HipHop kann kaum überschätzt werden“, schreiben Güngör und Loh.

Ausgehend von diesem Ausgangszustand beklagt das Buch einen Verdrängungsprozess. Nach einem kurzen Frühling, in dem es Breakdance sogar ins ZDF-Nachmittagsprogramm schaffte, schwand das Interesse, und mancherorts waren sich Passanten angesichts sich auf Linoleum drehender Jugendlicher nicht zu schade, wieder von tanzenden Affen und derlei zu reden.

Das große Geld indes verdienten während des Deutschrap-Hypes der vergangenen fünf Jahre nicht die migrantischen Jugendhausbesucher und Fußgängerzonen-Breakdancer, sondern zumeist weiße Mittelklasse-Abkömmlinge. Parallel dazu verschwanden die alten Inhalte aus den Texten. Fortan war Mittelklasse-Rap Trumpf, umso mehr, wenn er sich lustig und lebensbejahend gab. Wer, wie Advanced Chemistry oder andere – zumeist nicht in Vororten beheimatete – Vertreter des Genres, immer noch von den Härten sprach, die der hiesige Alltag für die Menschen mit türkischen oder italienischen Pässen oder schlicht der falschen Hautfarbe bereit hielt, galt schnell als Getto-Romantiker oder Möchtegern-Gangsta.

Vorerst letzter – gleichwohl bizarrster – Schritt dieser diskursiven Weißwaschung ist die versuchte Aneignung der jugendkompatiblen Praxis HipHop seitens neurechter Theoretiker. Dass HipHop in der Diktion der Rassisten ursprünglich „Negermusik“ gewesen sein dürfte, wird ausgeblendet. Zur Hilfe kommt solchen Bestrebungen, dass der Wertekonsens, den Güngör und Loh in der Old School des HipHop in D erkannt zu haben glauben, in Auflösung begriffen scheint. Nachwachsende Deutschrap-Hörer sind heute nicht länger automatisch mit der Historie und sozialen Erdung des Genres zu beeindrucken.

Güngör und Loh lesen heute aus Kanak Planet, und vielleicht sieht sich ja sogar der eine oder andere Vertreter des ach so wichtigen HipHop-Standorts Hamburg gefordert, der unterstellt pessimistischen These der Autoren zu widersprechen? Im Anschluss an die Lesung jedenfalls soll diskutiert werden, wozu als Gast auf dem Podium der hiesige Produzent Matthias Arfmann angekündigt wurde.

Lesung mit Klangbeispielen, anschl. Diskussion: heute, 21 Uhr, Schlachthof